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Entscheidungen treffen – ein ungewöhnlicher Lösungsansatz

Entscheidung treffen

Als Coach begleite ich meine Klienten, damit sie für ihr Leben gute Entscheidungen treffen können. Und natürlich gibt es davon bei mir selbst auch regelmäßig welche. Hätte ich in meinen Zwanzigern noch von mir behauptet, dass ich häufig zu lange zögere, so hat sich dies mittlerweile um 180 Grad geändert. Mein letzter Führungsjob lehrte mich, schnell und immer sicherer abzuwägen. Und je besser ich mich selbst kenne, desto einfacher fällt es mir auch, zu entscheiden. Ich habe also schon Jobs gekündigt und Städte verlassen … Kein Thema! Aber bei der Entscheidung, welche Klinik für meine Anschlussheilbehandlung die richtige ist, bin ich letzte Woche kurzzeitig total ins Strudeln geraten … 

Die Anschlussheilbehandlung (AHB) steht mir nach Abschluss der Krebstherapie (Chemo und/oder Bestrahlung) zu, damit ich wieder fit für Alltag und Beruf gemacht werde. Denn die Therapie kostet viel Kraft. Ich habe noch Glück, denn ich bekomme „nur“ Bestrahlung. Dennoch belasten die unsichtbaren Strahlen den Organismus. Nebenwirkungen, insbesondere in der zweiten Hälfte der Therapie, wie z. B. Müdigkeit und offene Wunden, können noch auftreten. Ich warte es ab. Neben den äußerlichen Problemen geht es in der AHB auch um das Innere, um die Psyche. Im Moment geht es mir sehr gut (ja, wirklich). Aber wer weiß, was sich noch entwickelt? Ich bin offen und werde alles annehmen, was sich mir zeigen wird. Auch Schmerzen, Fassungslosigkeit und Trauer. Die AHB ist also für drei Wochen im Anschluss an die Bestrahlung vorgesehen. Bei mir wird es im August 2017 so weit sein.

Soweit, so gut.

Bei der Wahl einer AHB-Klinik soll ich mich im Umkreis von 200 – 300 km bewegen. Damit fiel die Nordsee – mein eigentlicher Favorit – leider raus. Und so ging die Suche los. Ich schaute mir jede der vorgeschlagenen Kliniken an und handelte nach dem Ausschlussprinzip. Die Sozialarbeiterin in der Klinik hatte mir dazu eine Liste mitgegeben.

Was habe ich also gemacht?

Kriterien festgelegt

Eine Klinik, die für andere passt, muss nicht automatisch auch für mich passen. Wir sind alle verschieden (glücklicherweise!) und uns sind unterschiedliche Dinge wichtig. Nach und nach stellte sich also für mich heraus, worauf ich achten wollte. Die Klinik durfte nicht zu groß sein, denn ich möchte als Mensch gesehen und behandelt werden. Die Spezialisierung auf Krebs ist mir wichtig – aber nicht, dass es eine reine Brustkrebs-Klinik ist (davon gibt es nach meinem Kenntnisstand auch nur eine im näheren Umfeld, die auch sehr begehrt ist). Im Gegenteil, gemischtes Publikum statt einer reinen Frauenrunde sollte es sein. Zudem wollte ich einen Fokus auf Bewegung legen, denn ich möchte ganz viel Sport machen. Und es sollten verschiedene Entspannungsmethoden angeboten werden. Yoga übe ich ja bereits ausgiebig, und gerne möchte ich noch etwas Neues austesten.

Online recherchiert

Dann sah ich mir jede Klinik im Internet an.  Ich wollte anhand der Online-Präsenz und der Bewertungen einen Eindruck bekommen, ob ich mich da wohlfühlen würde. Da entscheidet auch häufig der erste Eindruck bzw. das Bauchgefühl. Eine Klinik, die heutzutage keinen guten Online-Auftritt hat, fällt bei mir schnell raus. Ich bin in dieser Hinsicht sehr visuell geprägt und aufgrund meiner früheren Arbeit im Online-Vertrieb auch vorbelastet 😉 Bei Kliniken lege ich die Messlatte nicht so hoch, denn der Fokus sollte natürlich auf den Behandlungen und der Betreuung liegen. Dennoch – fallen die Informationen, die online verfügbar sind, zu spärlich aus, war ich schnell weg. So reduzierte sich die Klinik-Liste nach und nach …

Priorisiert und gestrichen

Außerdem sortierte ich Kliniken aus, die kein WLAN haben. Mir ist der Kontakt zur „Außenwelt“ wichtig, auch wenn ich ihn vielleicht gar nicht jeden Tag aktiv nutzen werde. Das bleibt abzuwarten. Auch schlechte Bewertungen führten dazu, dass ich die Klinik von der Liste strich. Zwar darf man auch hier nicht zu pingelig sein, denn eine Reha-Klinik ist schließlich kein 5-Sterne-Hotel. Aber wenn sich bestimmte Kritiken immer wiederholen und mir diese Punkte wichtig sind, dann passt diese Klinik sicherlich nicht für mich.

Ich bin also absolut akribisch und strukturiert vorgegangen. So wie sich das für eine ordentliche Betriebswirtin gehört 😉

Übrig blieben dann zwei Kliniken

Und dann stand ich da. Beide waren offensichtlich gleich gut geeignet. Es gab keine Unterschiede, und wenn, dann waren sie marginal. Was sollte ich also tun? Welche Klinik sollte ich meiner Sozialarbeiterin nur nennen? Das sprichwörtliche „drüber schlafen“ brachte keine Erleuchtung. Also rief ich meine Mama an, die mich ja lange und gut kennt. Von ihr kam der Rat, eine Pro-/Contra-Liste aufzustellen. Pro-/Contra-Listen berücksichtigen jedoch nicht, wie wichtig uns einzelne Punkte auf dieser Liste sind, sondern listen diese einfach nur auf.  Sie eignen sich nach meiner Erfahrung nur dann, wenn wir die uns wichtigen Kriterien darauf entsprechend gewichten. Ich nahm also Mamas Tipp leicht abgeändert auf: Verschriftlichen ist immer gut! Schreiben hilft und bringt Reinigung! Das erfahre ich ja auch hier auf meinem Blog immer wieder. Also stellte ich eine Pro-/Contra-Liste auf und gewichtete die einzelnen Punkte.

So richtig weiter brachte mich das jedoch auch nicht. Also musste die Brustkrebs-Facebook-Gruppe meines Vertrauens (mal wieder) dran glauben. Ich fragte dort um Rat. Es kamen einige Tipps, aber so richtige Klarheit brachte auch das nicht. Außer, dass ich den dezenten Hinweis bekam, dass ich mir zu viele Gedanken machen würde 😀 Das wusste ich schon! Doch irgendwie konnte ich ja auch gerade nicht aus meiner Haut.

Also telefonierte ich ein weiteres Mal. Ich wählte für dieses Telefonat einen sachlich und rational denkenden Freund aus. Von ihm wusste ich, dass er alles Gesagte rein faktisch beurteilen würde. Also etwas, was ich selbst nie tun würde 😉 Von ihm kam der nächste gute Hinweis. Er erinnerte mich daran, dass ich doch Ruhe für mein Buch brauchen würde. (Ups, das hatte ich noch gar nicht erzählt, oder? Ich arbeite an meinem ersten Buch. Andere Geschichte 🙂  )  Und ja, es stimmt. Im Alltag kommt die Zeit dafür zu kurz. Insofern sprach dieser Punkt eher für die Klinik, die weiter weg und etwas abgeschiedener liegt. Aber so richtig überzeugt war ich immer noch nicht …

Ich überlegte, wie ich sonst Entscheidungen getroffen hatte. Da gab es ja schon einige in meinem Leben. Und viele auch mit deutlich weitreichenden Konsequenzen.

Und dann hatte ich es endlich

Ich erkannte meine Blockade. Erkannte, dass ich raus aus meinem Kopf musste. Weg von den Fakten, hin zu dem tatsächlichen Thema, was dahinter steckte. Im Coaching sprechen wir vom „Ziel hinter dem Ziel“. So ähnlich war es hier auch. Ich hatte mich verrannt. Hatte mich auf die Klinik konzentriert, denn für mich stand fest, dass ich die AHB machen möchte. Ich glaube, dass mir diese Auszeit gut tun wird und dass sie meine Heilung unterstützen wird. Auch wenn es mir aktuell gut geht (Klopf auf Holz), so könnte sich das vor Antritt noch ändern. Und auch wenn es so bleibt, unterschätze ich nicht die enorme physische und psychische Belastung, die mein Körper, mein Geist und meine Seele in den letzten Monaten durchstehen durften. Kurz: Ich war fest entschlossen, hier mit dem Strom zu schwimmen. Doch ich hatte die Rechnung ohne meine Ängste gemacht.

Es ging gar nicht um die passende AHB-Klinik.

Ich hatte einfach Angst, drei Wochen allein weg zu sein. Uff, damit war es raus. Erst war ich sehr verwundert. Ich bin schon einige Male alleine im Urlaub gewesen und war nie einsam. Ich komme für gewöhnlich schnell in Kontakt mit anderen Menschen. Angst vor Einsamkeit konnte es also nicht sein. Vielleicht die Angst vor Langeweile? Die kommt bei mir normalerweise auch nie auf. Ich habe immer etwas, womit ich mich beschäftigen kann. Und da ich mit dem Auto anreisen wollte, ist auch nichts gegen eine Wagenladung voller Bücher einzuwenden. Zudem ist es ja eine Reha-Maßnahme und kein Erholungsurlaub. Ich werde von morgens bis abends Programm haben. So viel freie Zeit wird es also vermutlich gar nicht geben. Und wenn doch, dann möchte ich weiter an meinem Buch arbeiten. Die Angst vor Langeweile konnte es also auch nicht sein.

Ich überlegte weiter und ging im Kopf durch die verschiedenen Wochen seit der Diagnose. Und dabei wurde mir bewusst, wie sicher und aufgehoben ich mich die ganze Zeit hier in meinen eigenen vier Wänden gefühlt hatte. Und auch, wie klar ich mich für das Brustzentrum meiner Wahlheimatstadt entschieden hatte, weil ich mich hier am Wohlsten fühle.

Ich hatte Angst davor, meine Kraft, die ich aus dieser Basis zog, zu verlieren!

Meine Wohnung ist tatsächlich mein Zufluchtsort. Hier sind meine vertrauten Räume, meine Sachen, mein Garten, das Naturschutzgebiet nebenan. Hier fühle ich mich rundum wohl. In meinem Leben hatten sich in den letzten Monaten so viele Dinge verändert, dass ich umso mehr Wert auf diese Basis lege. Dazu gehören im Moment vor allem meine Wohnung, meine Familie sowie meine Freunde. Meine vier Wände stehen für vertraute Abläufe und Sicherheit. Ich finde mich hier blind zurecht. Und hier läuft alles so, wie ich das möchte. So wie ich für mich erkannt habe, dass ich mich wohl fühle.

Ich brauche meine Rituale und meine Gewohnheiten. Gerade jetzt, in diesen stürmischen Zeiten. Ob mein selbstgemachter Frühstücksbrei, die morgendliche Yoga-Routine oder die Gewinnerpose bei Blick in meinen Garten – diese Dinge geben mir gerade einen Rahmen und sehr viel Kraft.

Dies würde bei einem Reha-Aufenthalt wegfallen. Dort bin ich alleine und darf mich neu auf alles einstellen, was mich dort erwartet. Meine Rituale und meine Routinen dürften sich nur schwer durchsetzen lassen. Das ist im Urlaub auch so, aber da ist es selbst gewählt. Und auch da achte ich sehr darauf, dass ich möglichst viel von mir und den Dingen, die mir wichtig sind, in einer Unterkunft wiederfinde.

Annehmen und Vertrauen

Und wie so oft, gibt es im Grunde nur einen Weg, damit umzugehen. Ich durfte annehmen, dass sich hier eine Angst in mir zeigte. Durfte erkennen, dass die Wahl der „richtigen“ AHB-Klinik sicherlich wichtig, aber nicht der entscheidende Punkt hier ist. Und durfte mich darauf fokussieren, Vertrauen in meine Kraft und meine Stärke zu haben. Und zwar unabhängig davon, ob ich mein gewohntes Umfeld um mich habe oder nicht.

Ein bisschen fühle ich mich nun wie damals vor der Sprachreise nach Großbritannien. Ich wollte da unbedingt hin. Dennoch habe ich die ersten zwei Wochen vor lauter Heimweh ständig geweint. Erst in Woche 3 hatte ich mich akklimatisiert und eingefunden – und wollte am Ende gar nicht mehr weg 😉 Nur bin ich heute gut 16 Jahre älter und auch um einiges reifer (meistens!).

Wahre Stärke entsteht in uns selbst und ist unabhängig davon, was im Außen um uns herum ist. Natürlich gibt uns eine vertraue Umgebung Sicherheit. Dennoch ist sie nicht der entscheidende Faktor. Viel wichtiger ist, mit Neugierde, Offenheit und Vertrauen an diese Erfahrung heran zugehen. (Das habe ich mir übrigens nicht selbst ausgedacht, sondern das ist ein wesentlicher Input in meiner Coaching-Ausbildung gewesen. Meine Ausbilderinnen haben diese Worte von Timothy Gallwey übernommen.)

Wie schön, dass ich mich ausgerechnet jetzt daran erinnern durfte <3

Meine „Unfähigkeit“ hier eine schnelle Entscheidung zu treffen, hat mich also zu einer Angst geführt, die sich in mir breit gemacht hatte. Als ich diese Angst als solche identifiziert hatte, war sie schon nicht mehr so schlimm. Denn ich weiß, dass ich mit ihr umgehen kann. Und konnte mich dann sehr schnell für die etwas ruhiger gelegene AHB-Klinik entscheiden. Und freue mich nun richtig auf die Auszeit und auf alles, was ich Schönes erleben werde.

Wie hilft dir das bei deinen Entscheidungen?

Solltest du auch gerade eine kleine oder große Entscheidungen treffen wollen, so hinterfrage doch mal, was zwischen dir und der Entscheidung stehen könnte.

Was hält dich WIRKLICH davon ab, diese Entscheidungen zu treffen?

Ganz häufig sind es nicht die fehlenden Fakten. Und es ist auch nicht unbedingt – zumindest nicht nur – ein Kampf zwischen Herz und Bauch. Vielleicht sitzt auch bei dir irgendwo eine Angst, die dich in dieser Entscheidung blockiert. Spüre mal rein und sei ehrlich zu dir selbst. Denn wenn du eine Angst findest, dann ist das nicht schlimm. Im Gegenteil, du kommst dir selbst auf die Spur. Und das wird dich bei zukünftigen Entscheidungen unterstützen.

Photo by Sandra Lotz.

 

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