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Wie ich es geschafft habe, die Krankheit zu akzeptieren

Krankheit akzeptieren

„Ich bewundere Dich, wie Du das so gut schaffst“ – diese Reaktion erhalte ich häufiger. Das ist mir etwas unangenehm. Bewunderung ist nämlich so ein großes Wort. Und ich hatte nach meinem Empfinden auch keine andere Wahl, als Weiterzumachen und meinen Weg zu finden. Denn das Leben hat es so von mir verlangt.

Ich glaube daran, dass jeder es schaffen kann. Und weil ich den Dingen gerne systematisch auf den Grund gehe, habe ich mich damit beschäftigt, wie sich meine Haltung in den letzten Monaten verändert und entwickelt hat.

  • Wie konnte ich die Krankheit für mich akzeptieren?
  • Wie habe ich zu der Stärke gefunden, die ich ganz tief in mir spüre?
  • Was habe ich genau gemacht?
  • Und was war vielleicht anders oder etwas ungewöhnlich?

„Schaffen“ = Krankheit akzeptieren

Eine schwere Krankheit zu akzeptieren heißt für mich, eine innere Stabilität zu entwickeln, die hilft, mit allem rund um diese Erkrankung umzugehen. Diese innere Stabilität sorgt in guten Zeiten dafür, dass ich diese auch genießen und wertschätzen kann. In schlechten Zeiten wiederum trägt sie mich und verhindert, dass ich in negative Gedankenspiralen abrutsche.

Innere Stabilität heißt nicht Zwangsoptimismus. Es darf auch traurige Momente geben, denn diese gehören zum Leben dazu und machen es echt. Es bedeutet aber, dass schlechte Zeiten schneller überwunden werden und man in der Lage ist, sich selbst mit den Haaren aus dem Dreck zu ziehen.

In der Rückschau habe ich vier Schritte identifiziert, die entscheidend für meine persönliche innere Stabilität gesorgt haben. Ich bin davon überzeugt, dass sich diese vier Phasen auf sehr viele Lebensthemen anwenden lassen. Deswegen möchte ich diese vier Phasen in diesem Artikel mit Dir teilen.

1) Erkennen – Es ist, wie es ist

Am Anfang steht das genaue Hinschauen und das Erkennen.

Folgendes habe ich erkannt:

Ja, ich habe Krebs.

Ja, ich bin sehr schwer erkrankt.

Ja, ich könnte irgendwann einmal daran sterben.

Ja, meine Aufgabe wird sein, mich auf die Suche nach einer Lösung zu machen.

Ja, es ist ab sofort mein Job, diese Krankheit zu verstehen und zu bewältigen.

Ja, ich übernehme Verantwortung für diese Erkrankung.

Ja, ich werde diesen Weg weitestgehend allein gehen müssen.

Und nein, ich kann nicht sofort daran sterben.

Auch wenn ich Heilung erfahre, werde ich immer Krebs gehabt haben. Mein altes, unbeschwertes Leben ist unwiderruflich vorbei. Mein neues Leben hat am 10. April 2017 angefangen.

Ich hatte es nicht gewollt, aber ich habe es bekommen. Mit allem Positivem wie Negativem. Es ist nun einfach meine Aufgabe, dafür einen Umgang zu finden. Ob ich will oder nicht – denn der Krebs ist da, und egal, was ich tue, er wird da bleiben.

Diese Phase gleicht einer Art nüchternen Betrachtung der Fakten. Hier geht es um die Sachlage. Dieses fiel mir anfangs schwer zu akzeptieren, da ich mich bei der Diagnose gesund gefühlt habe. Ich bin seit einem Jahr total fit und hatte nicht mal eine Erkältung in dieser Zeit. Deswegen war es zu Beginn einfach krass zu hören, dass ich angeblich an Krebs erkrankt sein soll. Ich konnte es erst nicht glauben und stehe noch heute manchmal vor meinem Leben und denke, es muss sich um einen Irrtum handeln 😉 Beschönigen bringt jedoch nichts. Egal, wie schmerzhaft das Thema ist.

2) Fühlen – Auch wenn es intensiv ist

Nach dem Erkennen kommt das Fühlen. In dieser Phase wurden meine Gedanken tiefgehender und dazu gab es eine Menge widersprüchlicher Emotionen.

MEIN MANIFEST AUF DAS LEBEN

Dies ist immer noch zu 100% mein Leben. Ich habe dieses eine Leben und kein anderes. Auch wenn mir nicht gefällt, was mir gerade serviert wurde, so ist es doch das, was gerade passiert. Ich kann es nicht ändern. Meine einzige Chance besteht darin, meine Einstellung und Haltung positiv zu gestalten und das Beste daraus zu machen.

Mein Leben besteht aus 365 Tagen, Jahr für Jahr. Ich könnte morgen vom Laster überrollt werden oder in 60 Jahren an Altersschwäche sterben. Mich könnte der Krebs erwischen oder eine Gehirnblutung. Niemand von uns weiß, wann unser Weg auf dieser Erde endet. Mit einer Krebsdiagnose wird das bewusst, was für uns alle gilt: Es könnte morgen vorbei sein. 

Aber was ich weiß, ist: Ich kann jeden einzelnen Tag nur einmal leben. Ich kann jeden einzelnen Tag zu einem guten Tag machen. Ich kann jeden einzelnen Tag genießen, so dass mein Leben sogar noch mehr ist als die Summe aller einzelnen Tage. Ich kann mein Leben genießen, solange ich es habe. Dafür gibt es nur eine einzige Voraussetzung: Dass ich es will! Und JA, ich will!

Es ist wichtig, nicht nur zu denken, sondern wirklich hineinzuspüren. Fühlen kann wirklich herausfordernd sein. Dieser Part dauert seine ganz persönliche Zeit. Hier dürfen, sollen und müssen wirklich Emotionen fließen. Tränen, Schreie, Wut, Trauer, Lebensfreude, Glück, Überschwang … Es ist alles erlaubt. In dieser Phase ist es absolut essenziell, sich selbst zu spüren und alles rauszulassen, was an Gefühlen in einem drin ist.

Ich habe mir hierfür freie Tage genommen und diese Zeit exklusiv mit mir verbracht. Ich wollte fühlen, da ich instinktiv gespürt habe, dass Verdrängen nichts bringt. Hier sind einige meiner persönlichsten Artikel entstanden (hier, hier und hier). So entstand ein Wechselbad der Gefühle (hier beschrieben), in dem sich pure Lebensfreude und Liebe sowie tiefste Trauer und Angst die Hand reichen durften.

Ich habe erfahren, wie wichtig es ist, sich selbst gut zuzuhören und anzuerkennen, dass sich Dinge geändert haben. Neue Situationen im Leben erfordern neue Verhaltensweisen. Alles so durchziehen zu wollen, wie es „schon immer“ war, ähnelt dem Ignorieren.

Mittlerweile habe ich erfahren: Diese Phase ist schmerzhaft und bringt viel Leid. Es besteht die – sehr menschliche – Tendenz, diese Zeit überspringen zu wollen. Je nach Charakter verfallen die einen in „Action“ oder bleiben gleich in der Depression bzw. in ihren Ängsten stecken. Wenn Du jedoch das Fühlen überspringst bzw. nicht richtig auslebst, fällst Du immer wieder darauf zurück. In deinem Inneren sind dann unverarbeitete Anteile, die gefühlsmäßig ans Licht kommen wollen.

Nur wer sich ungefühlten Gefühlen stellt, kann zu wirklicher Akzeptanz gelangen.

Nur so ist es möglich, eine Krankheit wirklich zu akzeptieren. Und ein Hoffnungs- schimmer besteht: Aus Leid entsteht Klarheit. Wenn Du diese denn zulassen kannst.

3) Hoffen – Das Gute darin sehen

Ja, es gibt Situationen im Leben, die sind einfach scheiße. Man findet keine Worte. Man ist im Schock. Oder man glaubt, daran zu zerbrechen, weil es so viel, so schwer, so fürchterlich ist. So ging es mir anfangs mit Knötchen.

Dennoch und gerade dann: Auch dieses Tal wird durchschritten werden. Und danach folgt ein Berg. Denn das Leben besteht eben immer aus Berg und Tal, aus Hoch und wieder Runter. Die Frage ist nur, wie Du möglichst schnell und sicher aus diesem Tal wieder herauskommst. Und dabei unterstützt Dich auf jeden Fall die Hoffnung.

Die Hoffnung auf einen besseren Zustand.

Die Hoffnung darauf, dass dieser miese Zustand gerade GENAUSO WIE ER IST GUT IST.

Die Hoffnung, dass es zu etwas Lohnenswertem führt. Vielleicht sogar zu etwas Besserem. Zu einer inneren Reife, die ein Leben verspricht, was besser zu mir passt.

Dieses „neue“ Leben habe ich nun schon einige Zeit in mir. Ich visualisiere, wie es aussehen wird. In mir wächst, wie ich leben möchte. Und ich verspüre eine große, innere Klarheit, was ich wirklich will und was ich nicht mehr will. Ich schreibe, male, klebe auf, wie mein Leben aussehen wird. Und freue mich aus tiefstem Herzen darauf.

Dieses neue Leben lebe ich übrigens auch heute schon. Auch schon während Therapie- und Rehabilitationszeiten, so gut ich kann. Und weißt Du was? Es fühlt sich richtig an.

Die Hoffnung nährt die Hoffnung.

Positive Gefühle verstärken einander. So waren auch Strahlentherapie und die eine oder andere private Unsicherheit in den letzten Wochen kein Problem für mich. Zur Hoffnung gehört auch die Dankbarkeit für diesen Weg. Ich habe noch nie so bewusst, achtsam und reflektiert gelebt, wie ich es seit Knötchen tue.

4) Tun – Aktiv werden und vorwärts kommen

Ich tue jeden einzelnen Tag aktiv etwas für meine Heilung. Und zwar weit mehr, als „nur“ das zu tun, was die Ärzte mir als Therapie angeraten haben. Die schulmedizinische Betreuung ist ein Baustein meiner Heilung. Darüber hinaus beschäftige ich mich intensiv mit den seelischen, körperlichen und geistigen Komponenten dieser Krankheit. Welche Faktoren könnten meine Genesung unterstützen? Was tut mir wirklich gut? Ich lese sehr viel und sehr durcheinander. Ich bin offen in jede Richtung. Denn eines habe ich gelernt:

Es gibt keine absolute Wahrheit. Es gibt nur meine Wahrheit.

Das ist anstrengend, denn ich entscheide, was ich tue. Und es gibt niemanden, der mir diese Entscheidung abnehmen kann. Dafür gibt es viele, die in irgendeiner Form bei dieser Entscheidung mitreden möchten. Eine Krebsdiagnose ist ein Einfallstor für ungebetene Ratschläge. Es gibt nur wenige Menschen, die in ihrer persönlichen Entwicklung so gereift sind, dass sie hier den richtigen Ton und den richtigen Moment treffen oder es auch ganz sein lassen. Bitte verstehe mich nicht falsch: Ich weiß, jeder Einzelne meint es gut. Wenn man jedoch ein großes Netzwerk hat, wie ich, dann ist man schnell mal den halben Tag damit beschäftigt, irgendwelche Ratschläge zu prüfen und häufig auch abzulehnen (da sie nicht zu mir passen). Und da ich mich  selbst sehr viel informiere, gibt es nur noch sehr wenig, was ich noch nicht weiß. Oder zumindest zu Hause schon als Buch liegen habe 😉

Erfahren habe ich also auch Folgendes:

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

Somit ist es beim Tun umso wichtiger, dass eine intensive Beziehung zu Herz und Bauch aufgebaut wird. Ich reflektiere jeden einzelnen Tag in meiner morgendlichen Meditation, wie es mir mit meinem Tun ergangen ist. Fühle ich mich wohl mit meinem Leben oder möchte ich etwas ändern? Diese tiefe Selbstreflexion begleitet und erdet mich in dieser herausfordernden Zeit. Sie hilft mir dabei, ganz bei mir zu sein.

Tun besteht aus kleinen Schritten. Alle Schritte zusammengenommen ergeben den Weg. EINEN GANZ PERSÖNLICHEN WEG.  Es gibt Schritte vor und Schritte zurück. Manche führen auf Abwege. Manchmal muss man dies erkennen, um zum Weg zurückzukehren. Dennoch entstehen Schritte erst, wenn man sie geht. Indem man sich vorwärts bewegt, ausprobiert, macht und tut.

Tun ist die intensivste Form der Verantwortung. Ich kann etwas machen oder ich kann es sein lassen. Das Bewusstsein, dass jeder Schritt nützlich ist, hilft, in Gang zu bleiben. Und es hilft, gleichzeitig einen inneren Abstand zum „Drama“ des Problems zu haben, genauso wie dennoch immer tief mit sich verbunden zu sein.

Mein persönliches Fazit

Eine Krankheit zu akzeptieren beinhaltet, am Ende des Tages, das eigene Verhalten VOR SICH SELBST rechtfertigen zu können. Es ist mein Leben, meine Gesundheit und irgendwann auch mein Tod. Und nicht das der anderen. Auch nicht, wenn sie eine ähnliche Diagnose wie man selbst haben. Jede Erkrankung ist anders. Krebs ist in alle Richtungen unberechenbar. Wir sind alles Individuen und das ist gut so.

Ich habe Knötchen nicht über Nacht verarbeitet. Es war ein intensiver Weg von der Diagnose bis jetzt. Und dieser Weg dauert fortwährend an, auch wenn ich nun schon seit einiger Zeit zu mehr innerer Stabilität gefunden habe.

Auch wenn ich mir Knötchen nicht ausgesucht habe, so habe ich mir doch ausgesucht, wie ich auf ihn reagiere.

Mein Herz hat mir Folgendes signalisiert:

Leben statt Kämpfen.

Darum tue ich jeden Tag Dinge, die mich dem Leben näherbringen und nicht der Krankheit. So ist jeder einzelne Tag wertvoll für mich. Und so kann ich auch diese Krankheit akzeptieren.

Photo by Jan Tielens on Unsplash.

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