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Ausgebremst durch eine Schnecke

Schnecke

Einige Tage nach der Diagnose bin ich zu meinem üblichen Spaziergang durch die Steinbrüche aufgebrochen. Es war ein sehr langer Marsch von ca. 2,5 Stunden. Auf dem Rückweg traf ich auf eine Schnecke, die gerade den Weg überquerte, als ich auf sie traf. Natürlich im Schneckentempo. Ich fragte mich, ob ein anderer Spaziergänger, der vielleicht unachtsamer wäre, sie platt treten würde? Spontan entschied ich mich, bei ihr zu bleiben, und ihr beim Kriechen zuzusehen. Solange, bis sie im Gras auf der anderen Seite des Weges verschwunden und damit in Sicherheit wäre. Und dann begann ich, sie genauer zu studieren. Erst ekelte ich mich etwas. Schnecken sind etwas schleimig, findest du nicht? Aber wann hatte ich das letzte Mal eine Schnecke gesehen? Und selbst wenn, wann hätte ich mir in meinem bisherigen Leben schon Zeit genommen, sie wirklich anzuschauen? Die Schnecke war ziemlich groß und hatte wunderschöne Fühler, die sich im Takt ihres Körpers bewegten. Und sie ließ sich nicht beirren, sondern blieb einfach auf ihrer Spur. Ich war ziemlich fasziniert von ihrer „Gangart“ und starrte sie minutenlang an.

Als es mir reichte, zückte ich mein Handy, um noch ein Foto von ihr zu machen. Leider gab in diesem Moment der Akku den Geist auf. Da ich die Schnecke aber unbedingt fotografieren wollte, holte ich meinen externen Akku raus. Es dauerte einen ganzen langen Moment, bis das Handy soweit war. Ich war davon total genervt. Wieso musste unbedingt jetzt das Handy aus gehen? Ich wollte doch ein Foto von der Schnecke schießen. Kniete mitten auf dem Weg, und redete parallel auf mein Handy („Nun geh schon an.“) sowie auf die Schnecke ein („Nicht so schnell, ich will dich noch fotografieren.“). Und dann registrierte ich, wie dämlich ich mich verhielt: Ich hatte alle Zeit der Welt und anstatt mich zu entspannen, drehte ich innerlich auf und redete mit einer Schnecke!

Mich überkam eine tiefe, innere Ruhe: Ähnlich wie sich die Schnecke mir in den Weg gestellt hatte und die Umstände dazu führten, dass ich einige Minuten dort verweilte … Ähnlich ist es wohl mit Knötchen. Ich fühle mich ausgebremst. Mein Lebenstempo ist schlagartig reduziert worden. Ich nehme Dinge wahr – an mir, an meinem Leben, an meinen Mitmenschen, für die ich zuvor keinen Blick hatte. Meine gewohnte, mir typische Herangehensweise funktioniert nicht mehr zwangsläufig, um eine Situation zu lösen. Die Schnecke lässt sich nur fotografieren, wenn ich geduldig bin. Bisher nicht gerade meine herausragendste Eigenschaft. Wird wohl auch Geduld dabei helfen, Knötchen zu heilen? Ich weiß es nicht.

Aber mit dem Foto hat es dann schlussendlich doch noch geklappt. Ich wartete dann, bis die Schnecke sicher auf der anderen Seite des Weges ankam, und ging dann glücklich nach Hause.

 

 

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