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Sie sind auch so ne ganz Harte, ne?

Mit diesem Spruch der Brustfachschwester wurde ich an Tag 1 nach meiner Diagnose konfrontiert. Was sie auf meine Nachfrage antwortete, weiß ich schon gar nicht mehr. Nur, dass mich ihre Antwort nicht überzeugt hat, blieb hängen.

Laut Google bedeutet „hart“ = so stark, dass es kaum zu erschüttern ist. Hmm. Auch Stärke ist etwas, was mir nachgesagt wird. „Wenn es jemand schafft, dann du, Sandra“ und „Du bist so eine starke Frau“- das höre ich sehr oft.

Weißt du was, manchmal KOTZT es mich an, immer stark sein zu müssen. Wie gerne wäre ich auch mal schwach. Wie gerne würde ich mich wie eine Katze auf dem Sofa zusammen rollen und nichts tun müssen. Mir einfach den Nacken kraulen lassen, mich in den Arm nehmen lassen, sanft und weich sein. Wie gerne würde ich manchmal die Verantwortung abgeben und einfach hoffen, dass alles gut wird.

Es könnte so einfach sein. Wenn ich nicht genau wüsste, dass diese Haltung einfach nicht mir entspricht. Ich glaube an die Selbstverantwortung. Es liegt an mir, mein Leben selbstbestimmt zu führen und glücklich zu sein. Menschen, die sich ständig in Opfer-Haltungen befinden, nerven mich. Wahrscheinlich, weil ich früher auch so war. Ja, ich bin auch Scheidungskind (und zwar doppelt), hatte mehr Pech als Glück mit Männern, kenne mich blendend mit narzisstischen Arschloch-Chefs und Mobbing aus. Und nun habe ich auch noch Brustkrebs. Mit 36, wohlgemerkt. Das muss unbedingt dazu, denn wäre ich 25 Jahre älter, wäre es zwar tragisch, aber nicht ganz so schlimm. Habe ich dein Mitleid geweckt? Spar es dir, denn ich will es nicht.

Jeder von uns erlebt nen Haufen Scheiße im Leben. Das gehört nun mal dazu, und das meiste davon suchen wir uns nicht aus. Was wir uns aber aussuchen, ist, was wir daraus machen. Ich lasse mir von dem Brustkrebs nicht mein Leben kaputt machen. Ich weiß nicht, wie lange ich auf dieser Erde sein werde und was danach kommt. Manchmal denke ich, es wäre einfacher für mich, wenn ich an ein Leben nach dem Tod glauben würde. Aber so weit bin ich (noch) nicht.

Aber so lange ich hier bin, möchte ich glücklich sein. Ich kann jeden Tag nur einmal leben. Egal, ob den Tag der Erstdiagnose, den Tag der OP, die vielen Tage dazwischen. Sie alle kommen nur einmal. Wenn ich also jeden Tag damit beschäftigt bin, mich selbst zu bemitleiden, dann sind dies verlorene Tage. Ich will jeden Tag zu einem guten Tag machen. Das klappt nur, wenn ich weiß, was mir gut tut. Wenn ich mir Zeit und Raum gebe für Dinge, die mich nähren. In den letzten Tagen habe ich also noch mehr Yoga und Wald-Spaziergänge gemacht als sowieso schon. Dazu kamen einige Vollbäder. Wahrscheinlich mehr als in den vergangenen 15 Jahren zusammen. Viel Zeit mit meinem Lieben verbracht. Heute – am regnerischen 1. Mai – verbringe ich den Tag mit Musik-DVDs, die sich seit Jahren in meinem Besitz, aber noch nie in meinem DVD-Player befunden haben.

Life may be a big insanity

Dies sang schon Sandra, aufgrund der Namensgleichheit mein Vorbild aus unbeschwerten Kindertagen. Und genauso ist es. Es ist Wahnsinn, was das Leben uns jeden Tag serviert. Wir können uns damit zufrieden geben, was wir einfach so bekommen. Oder wir können mehr wollen, danach streben, anzukommen, uns zu 100% echt zu fühlen. Ich wollte immer mehr. Das habe ich jetzt bekommen. Durch den Krebs wird mein Leben noch intensiver. Noch echter.

Es wird gerade viel über Knötchen gesprochen genauso wie über Männer, Job und die üblichen Irrungen und Wirrungen des Lebens. Es wird viel gelacht, ernsthaft geredet, genauso wie geweint. Mir ist es wichtig, dass es hier echt ist. Intensiv und authentisch. Ich bin weit davon entfernt, immer alles richtig zu machen. Ich kann auch nur so gut, wie ich gerade kann. Manchmal bin ich gefangen in mir, kann nicht raus, bleibe irgendwo drin, wo es vertraut und sicher ist, aber nicht unbedingt einfach für meine Umwelt. Jedoch ist es auch nicht mein Anspruch, dass es für dich, solltest du mich kennen, besonders leicht ist. Vielmehr möchte ich ehrlich sein dürfen. Ich möchte „ich“ sein dürfen.

Denn ich bin nicht nur stark. Jemand, der mich gut gekannt hat, sagte über mich, ich habe ein Bussibär-Herz. Ich weiß, dass ich sehr sensibel sein. Auch zu viel Emotionalität wurde mir schon vorgeworfen. Alles wahr und richtig. Jedoch liegt das immer im Auge des Betrachters. Und je nach Situation kommt das eine oder andere mehr zum Vorschein.

Ich bin gut zu erschüttern. Ich schaue kaum noch Nachrichten, weil mir Kriegsbilder und andere Katastrophen so nahe gehen. Ich kann weinen, wenn es anderen Menschen schlecht geht. Je nach Tagesform und ja, wahrscheinlich auch je nach Hormonstatus. Bei Ungerechtigkeiten kann ich mich gut aufregen, mich richtig reinsteigern. Ich hätte es gerne fair in dieser Welt. So ist das Leben aber nicht. Sonst hätte ich keinen Brustkrebs bekommen, denke ich.

Was ich geantwortet habe auf die Frage der Brustfachschwester? Ein einfaches „Nein“. Nein, ich bin nicht „hart“. Ich bin genauso hart und stark, wie ich schwach und weich bin. Aber ich habe gelernt, wann ich welche Eigenschaft gebrauchen kann. Zuhause in meiner Homebase liegen Freude und Trauer so nah beieinander wie nirgendwo sonst. Ich kann gut hin und her schwanken. Möchte alles raus lassen, denn verdrängen halte ich für ungesund. Für einen Termin im Brustzentrum brauche ich jedoch meine volle Konzentration und Aufmerksamkeit. Gefühle lasse ich draußen. Denn ich will wieder gesund werden.

 

 

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