Meine Diagnose ist mittlerweile einen Monat und fünf Tage alt. Und obwohl ich mir sicherlich freiwillig keinen Brustkrebs ausgesucht hätte, so hat diese Krankheit doch tatsächlich ihre Annehmlichkeiten. In „Annehmlichkeiten“ steckt übrigens der Begriff „Annehmen“. Eine schwere Krankheit annehmen, wie kann das gehen? Ich glaube, eine Möglichkeit ist, nach guten Gründen zu suchen, die eine solche Diagnose Positives mit sich bringt.
Positive Aspekte meiner Krankheit
Viel Zeit für mich
Noch nie in meinem Leben habe ich mir über Wochen so viel Zeit mit mir selbst gegönnt. Ich erlaube mir gerade alles, wonach mir der Sinn steht. Spät ins Bett gehen und lange schlafen – klar! Auf dem Sofa liegen und ungestört lesen – wann immer ich will. Morgens Yoga und nachmittags lange Spaziergänge ohne auf die Uhr zu schauen – fast täglich.
Da alle anderen arbeiten, habe ich tagsüber viel Zeit für mich und kann mir meinen Tag frei einteilen. Schon länger achte ich morgens bewusst darauf, wie ich meinen Tag beginne, und abends darauf, wie ich ihn beende. Meine Rituale habe ich jetzt noch einmal an die neue Situation angepasst. Ich nehme mir morgens richtig viel Zeit, um in die Gänge zu kommen. Die Schnellste war ich eh noch nie. Und mit meinen verschiedenen Wachmacher-Getränken, Übungen zum verbesserten Lymphabfluss, Atemübungen am offenen Fenster, einer Yoga-Einheit, … bevor es in die Dusche geht – hat sich mein Tempo nochmal verlangsamt. Ich erlaube mir gerade sehr viel Zeit für mich. Egal, was andere davon halten.
Nach Herzenslust Dinge ausprobieren können
Und so langsam regen sich auch die ersten Wünsche in mir, die ich in dieser Zeit verwirklichen möchte. Dinge, die ich schon lange mal ausprobieren wollte. Zum Beispiel das Meditieren. In meinem stressigen Vor-Brustkrebs-Leben habe ich das einfach nicht mehr rein bekommen. Und da ich ja immer schon viel Yoga gemacht habe, dachte ich auch, dass das nicht unbedingt noch sein müsste. Zeit war zu kostbar. Denn eine Meditation entfaltet ihre Wirkung nicht beim ersten Mal, sondern braucht Regelmäßigkeit und Routine.
Mittlerweile habe ich das Meditieren in mein Abendritual integriert. Und schon nach wenigen Malen kann ich sagen, dass es mir richtig gut tut. Anfangs begann ich mit 9 Minuten. Das war mir jedoch zu kurz. Im Moment meditiere ich 18 Minuten nach einem festen Programm, welches sich in einigen Tagen auf 27 Minuten steigern wird. Das entspannte Sitzen beruhigt mich. Gedanken annehmen und dann loslassen. Zur Ruhe zu kommen. Und sich auf die Nacht vorbereiten.
Tagsüber nehme ich mir nun auch häufig Zeit zu singen und zu tanzen. Solltest du mich schon mal Singen gehört haben, weißt du vielleicht, dass das nicht zu meinen Stärken zählt. Dennoch: Es tut mir einfach gut! Und da ich Musik liebe und gerne Neues entdecke, trällere ich seit einigen Tagen immer mal wieder meine Lieblingssongs mit. Und bilde mir sogar ein, dass ich etwas besser werde.
Endlich Ruhe in meinem Kopf
Wer mich kennt, weiß, dass ich ein fleißiges Köpfchen habe. Erkennen, analysieren, strukturieren, entscheiden, planen, organisieren und umsetzen – ich bin Meisterin darin. Nicht umsonst liegt eine meiner größten beruflichen Stärken im Projektmanagement. Je mehr Abhängigkeiten, Handlungsstränge und Beteiligte – umso besser. Ich laufe erst dann zur Höchstform auf, wenn es so richtig viel ist.
Die Gefahr dabei ist nur, den Punkt zu übersehen, an dem es zu viel ist. Das richtige Maß nicht mehr zu erkennen, sondern von Außen getrieben zu werden. An diesem Punkt stand ich schon häufiger in meinem Leben. In den letzten Jahren haben sich meine Sensoren dort verstärkt. Ich spüre schneller, wenn ich mir zu viel zumute. Und höre immer öfter auch darauf.
Nur leider nicht immer. Da ich ja aus der Vergangenheit weiß, wie belastbar ich bin, habe ich in den vergangenen Jahren meine eigenen Grenzen überschritten. Es wird schon noch gehen. Komm, dieses eine Mal noch.
Diese Erkenntnis ist frisch. Sie ist schmerzhaft. Und sie ist lehrreich. Denn es gibt Situationen im Leben, da geht es eben nicht mehr.
Gerade brauche ich die Ruhe. Ruhe in meinem Leben und Ruhe in meinem Kopf. Ruhe verhilft mir zu neuer Energie. Zu Klarheit und Einsichten. Zu Ideen. Und ich nehme mir nun diese Ruhe, jeden Tag aufs Neue, wann immer ich sie brauche.
So ruhig wie im Moment war es in meinem Kopf schon viele Jahre nicht mehr.
Die heilende Kraft des Schreibens
Schon in der ersten Nacht nach meiner Diagnose wurde mir klar, dass ich über meinen Weg schreiben will. Mit dem Schreiben verbindet mich eine lange Geschichte. Schon als kleines Mädchen war ich fleißige Tagebuch-Schreiberin. Habe meine Gedanken zu Papier gebracht, mich innerlich sortiert. Mich in Jugendjahren auch an Gedichten und Songtexten versucht. Ich liebe auch das Lesen und habe immer davon geträumt, selbst ein Buch zu schreiben.
Nach Beendigung der Schule habe ich mich dann viele, viele Jahre lang nicht damit beschäftigt. Gelesen habe ich immer, aber das Schreiben habe ich sein gelassen. Warum eigentlich? Ich weiß es selbst nicht.
Als mir dann im letzten Jahr klar wurde, dass ich mich als Life & Business Coach selbständig machen will, spürte ich sofort, dass das Schreiben wieder eine Rolle einnehmen wird. Mein Blog ist im Januar 2017 online gegangen. Zu einer Zeit, in der Knötchen schon da war. Entdeckt, aber noch nicht untersucht. Und obwohl ich es liebe, Menschen auf ihrem Weg zu begleiten, und sie dabei zu unterstützen, selbstbestimmt ihr Leben zu leben, so habe ich mich doch anfangs schwer getan mit dem Schreiben. Ich habe selbst so viele Veränderungen in meinem Leben initiiert und erlebt. Viele davon liegen Jahre zurück. Ich hatte einfach Schwierigkeiten zu erkennen, welche Texte meinen Leserinnen und Lesern wirklich helfen würden. Kurz vor der Diagnose hatte ich mich dann endlich „eingeschrieben“ und mehrere Artikelserien produziert. Aktuell schlummern diese noch in der Schublade und warten auf Veröffentlichung.
Dann kam die Diagnose von Knötchen. In meinem Kopf sind seitdem so viele Gedanken und Worte. Überschriften und Zitate. Sie wollen raus, wollen sortiert und in Form gebracht werden. Wenn ich mir ein paar Tage keine Zeit dafür nehmen kann, dann spüre ich das sofort. Wache nachts auf und habe einen Einfall für eine Überschrift, zu der ich unbedingt noch etwas schreiben will. Es ist wie ein innerer Drang nach Ausdruck.
Dieser Blog ist mein Medium dafür. Hier geht es um nichts, und doch um so viel. Ich kann schreiben und wenn es keiner liest, dann ist es so. Hier kann ich frei runter texten. Experimentieren und Ausprobieren. Meine Texte hier sind persönlicher als auf dem Coaching-Blog. Sie sind nah dran an mir, an meinem neuen Leben, an meiner Entwicklung und an meinem Denken. Sie sind wie ich. Mal kurz und knapp, mal lang und ausufernd. Optimistisch und voller Lebensfreude, aber auch von Traurigkeit und Angst gezeichnet.
Enge Freunde berichten mir, dass es ihnen hilft, mir in dieser besonderen Zeit nahe zu sein. Denn natürlich kann ich nicht mit jedem persönlich jedes Thema, was es hier auf den Blog schafft, besprechen. Und natürlich habe ich die Hoffnung, dass auch du – solltest du ebenfalls krank sein – etwas aus meinen Worten ziehen kannst. In erster Linie unterstützen meine Texte jedoch mich selbst beim Annehmen und beim Bewältigen meiner Krankheit. Helfen mir, einen persönlichen Weg durch den Dschungel an möglichen Reaktionen auf die Brustkrebs-Diagnose zu finden. Denn auch das Schreiben tut mir einfach gut.
Diese Dinge kann jeder von uns sofort in sein Leben integrieren
Dafür braucht es keinen Brustkrebs und keine andere Krankheit. Auch ich hätte dies längst tun können. Jedoch habe ich es nicht getan, oder zumindest nur in Maßen. Wahrscheinlich war es nicht genug, ich weiß es nicht. Jedoch hat mich meine Diagnose dazu gebracht, mich und meine Gesundheit noch stärker als bisher schon in den Mittelpunkt meiner Aktivitäten zu stellen. Denn mir war von Anfang an klar, dass es für meine Heilung entscheidend ist, dass ich diese Krankheit annehmen kann. Und dass ich nur gesund werden kann, wenn ich mich zu 100% auf mich und meine Heilung ausrichte. Denn es ist nie zu spät, um sich (noch) stärker auf sich und seine Bedürfnisse zu konzentrieren.
Photo by Chris Lu.
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