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Was macht die Diagnose Brustkrebs mit mir und meinem Leben?

Diagnose Brustkrebs

Eine Krebsdiagnose ist nicht wie ein Schlag ins Gesicht. Es ist eher wie ein Schlag in die Eingeweide. Ein inneres Krümmen. Ein Zusammenziehen aller Muskeln, Sehnen und Fasern, die den menschlichen Körper ausmachen. Gleichzeitig ziehen sich auch alle Gedanken in meinen Kopf zusammen. Auf diesen einen: „Muss ich jetzt sterben?“. Fassungslosigkeit, Angst vor dem Tod, die Frage nach dem „Warum?“. Dieser Moment hat viele Facetten.

Der bisher schlimmste Tag meines Lebens

Am 10.04.2017 ist mein Kalender stehen geblieben. Eine neue Zeitrechnung beginnt.

Es gibt ein „Davor“ und ein „Danach“.

Die Minuten, Stunden, Tage, die es braucht, um einen ersten, zaghaften Umgang damit zu finden, dass es ausgerechnet mich getroffen hat. Und auch wenn man etwas ahnt, so hofft man doch. Auf verschont werden, auf weiterleben, auf Beständigkeit dessen was vorher war.

Ab dem Zeitpunkt der Diagnose gibt es mein altes Leben nicht mehr. Das Leben ist nicht mehr so unbeschwert und sorglos, wie es einmal war. Das Tragische ist, dass ich mein Leben vorher niemals als besonders unbeschwert empfunden hatte. Sorglos schon gar nicht. Aber ganz ehrlich – das war es. Solltest du kerngesund sein und dir viele Sorgen machen – bitte stelle es ab. Lebe und genieße einfach. Es kann ganz schnell gehen, plötzlich hat es dich erwischt. Und es kann jeden treffen.

Ab sofort verbringe ich meine Zeit zu einem großen Teil mit Untersuchungen, Prognosen und Behandlungen. Ich spreche mit vielen, vielen Ärzten. Einige sind toll. Andere … du kannst es dir vorstellen. Meine Geduld – noch nie besonders stark ausgeprägt – wird in mancherlei Hinsicht noch kleiner. Inkompetenz, Machtspielchen und fehlende Empathie will ich in meinem neuen Leben als Brustkrebs-Kranke noch weniger haben als vorher schon. Energiefresser müssen raus, sofort.

Ich brauche meine ganze Energie, um wieder gesund zu werden.

In anderer Hinsicht wird meine Geduld eher besser. Unsicherheiten konnte ich nie gut aushalten. Ich wollte bisher gerne alles unter Kontrolle haben. Die Diagnose Brustkrebs lehrt mich nun den Kontrollverlust aka Vertrauen zu haben. Denn ohne Unsicherheit ist ein Leben als Kranke zwar möglich, aber ziemlich sinnlos. Es gibt immer eine Sache, die ich noch nicht weiß. Einen ausstehenden Befund, auf den ich warten und hoffen darf. Dazu kommen jede Menge Ängste, quälende Unsicherheit und immer wieder Warten. Auf das nächste Ergebnis, auf einen weiteren Termin, einfach auf Hoffnung. Wenn ich nicht lerne, mir die Wartezeit gut zu füllen, dann verpasse ich mein Leben mit Warten. Das will ich nicht.

Und auch wenn die Behandlung abgeschlossen ist, bleibt auf der emotionalen Ebene etwas zurück. Von anderen Betroffenen weiß ich, dass die nackte Angst ab sofort bei jedem komischen Gefühl im Körper dazugehört. Ist der Krebs zurück gekommen? Haben sich irgendwo anders im Körper Metastasen gebildet? Geht das ganze Spielchen wieder von vorne los? Diese Fragen werden von nun an für den Rest meines Lebens dazu gehören. Darauf darf ich mich einrichten.

Aber soweit bin ich noch nicht. Es brauchte 2,5 Wochen nach der Diagnose bis es los ging mit den ersten Maßnahmen. So unschön ein Klinikaufenthalt, mehrmaliges Aufschneiden und Vollnarkosen auch sind – immerhin passiert etwas. Ich darf mich auf etwas Handfestes konzentrieren und ausrichten. Es gibt einen wirklichen Schmerz, den ich aushalten darf. Wunden, um die ich mich kümmern kann. Übungen, die ich zur Genesung ausführen sollte.

Ich bin beschäftigt und das ist gut so.

Diagnose Brustkrebs – bisher kannte ich niemanden persönlich, der betroffen ist. Man hört und liest davon. Anastacia, Kylie Minogue, Sylvie Meis. Und nun also ich. Eine meiner größten Ängste ist, dass mich diese Krankheit ausgrenzen könnte. „Das ist die, die so jung an Brustkrebs erkrankt ist.“ – höre ich die Leute schon in meiner Abwesenheit sagen. Angst, dass mich diese Krankheit, die ich mir ja nicht ausgesucht habe, stigmatisieren könnte. Will ich das? Trage ich meine Krankheit offen mit mir rum? Oder verheimliche ich sie lieber? Erzähle ich darüber, ganz normal, wie ich von einem gebrochenen Bein berichten würde? Oder tue ich lieber so, als sei nix? Ich probiere unterschiedliche Varianten aus. Rede mal so und mal so darüber. Und bekomme verschiedene Reaktionen. Reflektiere, was mir gut tut. Merke, was ich will. Und was ich nicht will. Mache erste zaghafte Versuche in Richtung Normalität.

Normal leben – mit der Diagnose Brustkrebs

Wie sieht ein „normales“ Leben aus? Man geht arbeiten, freut sich auf das Wochenende, plant seinen Feierabend und den nächsten Urlaub. Freut sich auf das Wochenende und ärgert sich über den Chef.

Was davon ist noch Teil meines Lebens?

Wenn die anderen von der Arbeit berichten, habe ich außer schlauen Tipps nichts beizusteuern. Klagt jemand über Stress und fehlenden Schlaf, ist mir das fast unangenehm. Ich bin seit Wochen ausgeruht. Stress? Habe ich nicht. Mir geht es gut zu Hause, wirklich. Langeweile kenne ich auch jetzt nicht. Im Gegenteil: Noch immer liegt hier die Ablage rum und der Garten könnte auch etwas Zuwendung vertragen.

Es ist nicht so, dass ich plötzlich zu viel Zeit hätte.

Klar habe ich mehr davon als früher. Aber ich bin durch die OP’s auch eingeschränkt in meinen Aktivitäten. Und gehe regelmäßig zu irgendwelchen Ärzten und in die Klinik. Meine neue Normalität? Besteht aus Arztterminen, Organisatorischem und jeder Menge Selbstfürsorge. Und auch wenn ich mir vornehme, meine Lieben nicht ständig mit meinem Brustkrebs vollzulabern – das ist echt schwierig. So wahnsinnig viel passiert hier halt auch nicht. Aus den üblichen Themen rund um Arbeit, nervige Kollegen und Nachwuchsplanung bin ich ausgeschlossen. Ein bisschen fühle ich mich wie eine Mama in Elternzeit. Nur dass ich mich – statt um einen Säugling – um Knötchen kümmern darf. Ich sorge mich rund um die Uhr darum, dass es dem Kleinen gut geht. Dass er genug Bewegung und Tageslicht hat. Sich gut ernährt und alle Vitamine, Nähr- und Vitalstoffe erhält. Meine Freundinnen in Elternzeit sind plötzlich gut erreichbar für mich. Ich bin ja nun tagsüber auch häufig zu Hause.

Krebs wird Teil des Bekannten.

Ich versuche mein Leben mit mehr zu füllen als nur Arztbesuchen und verschiedenen Varianten des Ausruhens. Möchte auch etwas zu erzählen haben, was andere interessiert. Möchte interessant und attraktiv sein. Ich wehre mich dagegen nur krank zu sein. Jeder, der neu davon erfährt, ist geschockt. Ich hingegen? Gehe locker damit um. Ich kenne es ja seit 36 Tagen nicht anders.

Meine Krankheit ist tückisch

Brustkrebs tut nicht weh. Meistens zumindest nicht. Bei einem Tastbefund, wie bei mir, spürt man einen Knoten in der Brust. Solange dieser nicht auf einen Nerv drückt, ist das einfach nur ein Knoten ohne Schmerzen. Ansonsten fühle ich mich kerngesund. Ich würde davon ausgehen, dass ich kerngesund bin. Wenn die Ärzte mir nicht ständig etwas anderes erzählen würden.

Brustkrebs spürt man nicht. Nicht körperlich. Nur innerlich. Jetzt nach der OP merke ich natürlich Schmerzen an den operierten Stellen. Das ist fast gut. So kann ich nicht vergessen, dass ich wirklich krank bin. Denn oft ist es so: Ich fühle mich so fit, dass ich mir sicher bin, dass ich nichts Schlimmes haben kann.

Fast beschleicht mich die Sorge, dass ich zu sorglos damit umgehen könnte. Ich lebe einfach weiter. Ja, es ist anders. Aber deswegen nicht unbedingt schlechter. Meine Diagnose eröffnet mir durchaus Raum für neue Dinge in meinem Leben. Ich war schon immer gerne zu Hause. Und genieße es tatsächlich, mich auf mich und meine Heilung zu konzentrieren. Dass ich es nicht schaffen könnte, diese Option existiert in meinem Kopf gar nicht. Ich weiß so sicher, dass ich leben werde. Weil ich hier auf dieser Erde noch nicht fertig bin. Weil in mir noch so viel ist, was raus möchte. Weil ich noch so viel geben will.

Was kann ich tun, um mich selbst zu heilen?

Gesunde Ernährung, Sport & Bewegung, Abbau von Stress und ein spiritueller Umgang mit meiner Krankheit. Dies und noch viel mehr ist ab sofort meine Hauptbeschäftigung. Fast könnte man neidisch sein, dass ich mir so viel Zeit nur für mich nehmen darf. Wenn da nicht kleine, böse Krebszellen in mir wären, die mir an den Kragen gehen, wenn ich sie nicht in Schach halte.

Diagnose Brustkrebs – so schlimm wie es anfangs war, so normal ist es mittlerweile. Vermutlich liegt das daran, dass ich gerade nur die OP-Folgen zu bewältigen habe. Ich nehme keine Medikamente und meine Behandlung hat noch nicht begonnen. Nebenwirkungen oder Schmerzen habe ich kaum.

Stattdessen beschäftige ich mich mit meiner inneren Heilung. Horche tief in mich hinein, was zu meiner Erkrankung beigetragen haben könnte. Und erspüre, was mir helfen wird, wieder gesund zu sein. Das mache ich tagtäglich, immer wieder. Und alles, was sich dabei zeigt, hole ich in mein Leben. Reichlich. Mit viel Liebe und Fülle. Und mit Genuss.

Einen guten Monat nach der Diagnose Brustkrebs ist es für mich so:

Ich lasse mir vom Brustkrebs nicht mein Leben wegnehmen.

Im Gegenteil – der Brustkrebs gehört von nun an in mein Leben.

 

Photo by Esme Weatherwax.

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