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Meine größte Angst & wie sie mir hilft

Groesste_Angst

Als bei mir im April 2017 Brustkrebs diagnostiziert wurde, habe ich eine große Angst in mir gespürt. Ich dachte, ich hätte Angst vor dem Tod. Krebs – das bedeutet doch, dass man stirbt, oder? Mit der Beschäftigung mit der Krankheit kam dann das Bewusstsein: Nein, man kann den Krebs überleben. Meine Chance zu überleben ist sogar ziemlich hoch. Und wenn der Tod für mich jetzt vorgesehen wäre, dann wäre es so. Das war es also nicht. Denn die Angst blieb.

Als nächstes dachte ich, es sei die Angst vor dem Sterben. Die Angst davor, dass der Prozess des Sterbens schlimm für mich wäre. Dass ich – wenn es denn mal so weit wäre – Schmerzen haben würde. Dass ich damit viele Menschen sehr unglücklich machen würde. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, war es das auch nicht. Denn sollte ich sterben, dann würden die Ärzte schon dafür sorgen, dass ich keine Schmerzen habe. Und meine Familie und mein Umfeld wären traurig, ja … Aber ich weiß, sie wären stark genug, um das zu verkraften. Dieses Gefühl war es auch nicht. Denn die Angst blieb.

„Wovor genau habe ich wirklich Angst?“ fragte ich mich also. Immer und immer wieder.

Und irgendwann war ich innerlich reif für die Erkenntnis. Ich hatte so lange in meinem Inneren herum gebohrt, bis ich mich selbst verstanden hatte. Bis ich meiner allergrößten Angst auf den Grund gegangen bin. Die Art von Angst, die mich so tief in meinem Inneren bewegt, dass mir beim Gedanken daran die Tränen von ganz tief unten hochsteigen. Die Art von Angst, die einem innerlichen Ersticken gleicht. Die Art von Angst, die ich vor der Diagnose niemals zuvor empfunden hatte.

Im Grunde hatte ich sie von Anfang an richtig verstanden. Ich konnte sie aber nicht in Worte fassen. Ich konnte sie nicht ausdrücken, nicht formulieren. Das ist erst jetzt möglich, ein halbes Jahr nach der Diagnose.

Was meine größte Angst ist

Es ist die Angst davor, mein Leben nicht so gelebt zu haben, wie es mir entspricht.

Die Angst, nicht das gemacht zu haben, was ich liebe.

Die Angst, zu wenig schöne Dinge erlebt zu haben.

Die Angst, meine größte Gabe nicht genügend unter die Menschen gebracht zu haben.

Die Angst, zu wenig Lebensfreude und Genuss erlebt zu haben.

Die Angst, zu wenig echte und ehrliche Erfüllung in meinem Leben gehabt zu haben.

Die Angst, mich nicht authentisch genug gegeben zu haben.

Die Angst, das Leben einer anderen gelebt zu haben und nicht mein eigenes.

Die Angst, zu wenig Menschen mit dem, was ich kann, geholfen zu haben.

Die Angst, mir zu viele Sorgen gemacht zu haben. Die Angst, nicht genügend geliebt zu haben.

Die Angst, dass es mir verwehrt bleiben würde, bestimmte Dinge zu verwirklichen.

Ich habe Angst, dass mir nicht mehr genügend Zeit bleibt, um meine Träume zu verwirklichen.

Das ist nicht rational, denn schulmedizinisch ist die Akut-Therapie abgeschlossen. Meine Chancen stehen sehr gut, dass der Krebs niemals zurückkommen wird. Sicherheit wird es in diesem Punkt sowieso niemals geben. So wie auch niemand anderes ausschließen kann, dass er nicht morgen ebenfalls erkrankt. Wenn jede 8. Frau im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs erkrankt, ist mein individuelles Rückfallrisiko gar nicht unbedingt höher. Aber das ist nur Statistik, man kann immer die Ausnahme sein. Denn schließlich hat es mich auch mit 36 Jahren erwischt. In einem Alter, in dem laut Krebsinformationsdienst nur eine von 110 Frauen erkrankt.

Die Angst ist aber trotzdem da. Und wenn ich ehrlich bin, hatte ich sie schon vor der Diagnose. Ich habe schon vor der Diagnose gespürt, dass mein Leben nicht mehr in den richtigen Bahnen verläuft. Und habe deshalb ganz aktiv und mit viel Freude einiges verändert, was nicht mehr gepasst hatte: Den stressigen Job im IT-Projektmanagement gekündigt, bessere Ernährung und mehr Sport in meinen Tag integriert und das ungeliebte Nürnberg verlassen, um im Speckgürtel Frankfurts heimisch zu werden … Da wollte ich immer hin ? Schon bevor ich überhaupt wusste, dass sich in meinem Körper ein bösartiger Tumor gebildet hatte, war ich dabei, mein Leben wirklich nach mir auszurichten. Mittlerweile glaube ich, dass dieser Fokus auf mich dafür gesorgt hat, dass ich mit meinem Brustkrebs nicht die aller-aggressivste Form erwischt habe. Ich glaube, als Knötchen entstanden ist, hat er gemerkt, dass da plötzlich andere, bessere Dinge in meinem Leben passieren. Weniger Stress, bessere Nahrung, mehr Yoga und Rückzug. Und dann ist er zwar trotzdem gewachsen, aber nicht so aggressiv. Ob das stimmt? Das werde ich nie erfahren. Aber dies ist meine persönliche Wahrheit.

Nach der Diagnose war trotzdem erstmal Stillstand. Die Therapie stand im Vordergrund. Und ich fühlte mich vom Leben verarscht und musste das erstmal verdauen. Auch jetzt – um die 6 Monate danach – brauche ich immer noch sehr viel Zeit für mich. Denn ich setze mir gerade mein Leben wieder von Grund auf neu zusammen.

Was diese Angst mit mir macht

Mittlerweile spüre ich mit jedem Tag immer deutlicher, wie sehr mich diese Angst auch antreibt. Nun, wo ich sie verstanden habe, ist sie gar nicht mehr so schlimm. Diese Angst motiviert mich. Diese Angst ist pure Energie in meinem Leben. Diese Angst beflügelt mich.

Sie erinnert mich daran,

  • keine Zeit zu verschwenden,
  • mir nicht unnötig Sorgen zu machen
  • mich auf das Wesentliche zu besinnen
  • ganz viel zu genießen
  • und einfach Sandra zu sein.

Denn das Leben ist wie ein Karussell. Es ist bunt, laut und wunderschön. Mal sind wir oben und mal sind wir unten. Und die Gondel dreht sich immer irgendwie weiter.

Meine größte Angst sorgt also dafür, dass ich mit noch mehr Nachdruck und Kompromisslosigkeit wirklich mein Leben lebe.

Was findet man sein eigenes Leben

Darüber denke ich nicht erst seit gestern nach. Schon seit meinem 30. Lebensjahr reflektiere ich über das Leben und meine Rolle darin. Und im Zuge meiner Tätigkeit als Life & Business Coach für selbstbestimmte Lebenswege habe ich mich natürlich sehr stark mit meinem inneren Selbstverständnis auseinandergesetzt.

Persönlichkeit
Ich kenne meine Stärken und meinen Charakter. Ich weiß, was ich gut kann, wo mir keiner was vormacht und was mir leicht von der Hand geht. Und ich weiß auch, womit man mich besser in Ruhe lässt, weil es eben nicht so meins ist. Aber spiele ich diese Stärken wirklich schon voll aus? Wo kann ich sie noch besser einsetzen? Wie authentisch bin ich dabei schon? Diese Fragen haben mich nochmal ganz intensiv in den letzten Monaten beschäftigt.

Werte
Was sind eigentlich meine Werte und meine tiefsten Überzeugungen? Mit meinen Klienten erarbeite ich im Coaching u.a. ihre Lebensmotive. Im Zuge der Erkrankung habe ich mich damit auch noch einmal auseinandergesetzt. Liebe, Freiheit und Vertrauen sind die Werte, die mich persönlich am stärksten antreiben und ausmachen.
Antworten zu finden, wie ich diese Werte zukünftig leben will, ist Teil meines inneren Prozesses gewesen. Die gefundenen Antworten in konkrete Taten umzusetzen ist meine aktuelle Aufgabe. Kleine und große Taten. Taten, die so richtig Bewegung in mein Leben bringen. Und Taten, die eher im Stillen zu mehr Authentizität und Leichtigkeit führen.

Lebensfreude
Zum Leben gehört die Lebensfreude. Die Lust. Der Spaß. Die Qualität.
Es ist nicht wichtig, wie lange Du gelebt hast. Es ist wichtig, wie intensiv Du gelebt hast.
Ganz ehrlich habe ich mir die Frage beantwortet, wie viel Freude ich wirklich in meinem Leben empfunden habe. Und in welchen Momenten ich diese Freude genieße. Nur so viel: Da geht noch was ? Und wenn ich mir meine Umwelt so anschaue, dann geht das nicht nur mir so! Wir haben in der Welt noch so viel Potenzial an echter, wahrer Lebensfreude.

Für mich heißt das, dass ich wieder mehr im Flow agieren möchte. Mehr Spontanität. Mehr schöne Momente statt arbeiten. Mehr auf mich hören und auf das, was ich wirklich gerade will. Und nicht auf das, was der Kalender oder die To-Do-Liste gerade sagen, was ich zu wollen habe.

Meine größte Angst ist richtig gut für mich

Denn sie treibt mich an, das Richtige zu tun. Endlich wirklich Sandra zu sein. Auch wenn diese Sandra in einigen Punkten ganz anders ist als früher ? Ich hebe quasi meine Persönlichkeit auf die nächste Stufe. Bin mein next-level-me und habe vielleicht die eine oder andere Wachstumsstufe etwas schneller übersprungen als sonst. Was wahrscheinlich daran liegt, dass ich sie in den letzten Jahren nicht schnell genug genommen habe. Aus meiner größten Angst entspringt also auch viel Gutes! Es hängt einfach davon ab, wie man auf diese Angst drauf schaut.

Du kannst jederzeit neu bewerten, wie Du eine Situation oder eine Angst einschätzt. Du bist Deiner Angst nicht ausgeliefert. Deine Angst kann Motor für das sein, was Du im Leben wirklich willst. Reich also Deiner Angst die Hand und sag „Hey, was willst Du mir sagen?“. Und dann höre aufmerksam hin, freunde Dich mit ihr an, rücke richtig eng an sie ran … und dann nimm Dir das aus ihr raus, was sie Dir eigentlich sagen will.

Denn Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst. Mut ist die Erkenntnis, dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst.

(Aus dem Film „Plötzlich Prinzessin“).

Photo by Sandra Lotz.

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