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Die geheimnisvolle Person, die mir immer Mut macht, wenn es mir schlecht geht

Als ich die Anfrage bekam, ob ich mit einem Artikel an der Blogparade von Amoena Life, einem Online-Magazin für Brustkrebs-Betroffene, teilnehmen möchte, freute ich mich und dachte sofort „Ja, das mache ich.“ Eine schnelle innere Entscheidung. Ohne das Thema wirklich zu lesen. Irgendetwas mit Mut.  Selbst als ich dann zugesagt hatte und das Thema richtig gelesen hatte, dachte ich immer noch „Dir fällt schon was ein. Dir fällt immer was ein.“ Aber so war es dieses Mal nicht. Ganz und gar nicht. 

Es liegt nicht daran, dass es mir während der Brustkrebs-Therapie nicht schlecht ging – natürlich ging es mir auch mal schlecht! Und das eine oder andere Mal habe ich auch davon auf meinem Blog berichtet. Ja, ich habe sogar das Schreiben über meine Ängste benutzt, um wieder in meine Kraft zu kommen. Es liegt auch nicht daran, dass ich keinen Mut habe oder gebraucht hätte. Tatsächlich wird mir viel Mut nachgesagt und mit den Jahren wird es auch immer mehr. Denn ich kenne mittlerweile meine Herzenswünsche und will sie bestmöglich leben. Dazu braucht es Mut.

Was war es dann?

Irgendwie schwirrten in meinem Kopf die möglichen Antworten wild durcheinander wie ein Schwarm voller Bienen. Welches war nur die Haupt-Biene? Die Anführerin? Diejenige Biene, welche das Siegel „Du hast mir in meinen schlimmsten Momenten immer Mut gemacht“ wirklich verdient hat. Ist es meine Mama? Meine beste Freundin? Meine Stoffratte? Ein anderer Gegenstand? Das konnte ich nach einem kurzen Blick durch meine Wohnung schon mal ausschließen. Gegenstände machen mir keinen richtigen Mut.

Als ich dann endlich glaubte, meine Antwort auf diese Frage gefunden zu haben, las ich noch einmal die Beschreibung zur Blogparade durch. „Das kann eine nahestehende Person, ein Tier, ein Talisman, die Zeile aus einem Lied oder ein Erinnerungsstück an die Kindheit sein.“

Bähm!

Mir war sofort klar: Mein Artikel würde entweder einschlagen wie eine Bombe. Oder echt komplett nach hinten losgehen. Denn so eine „einfache“ Art von Antwort hatte ich eben nicht gefunden. Ich wollte etwas ganz anderes schreiben. Und schwupps ging es in meinem Kopf los. Es muss doch aber ein Tier, einen Talisman, oder etwas anderes geben, was ich schön fotografieren kann und für diese Blogparade in Szene setzen kann. Ach egal, ich nehme einfach meine beste Freundin, die sieht hübsch aus und wäre sicherlich einverstanden damit, veröffentlicht zu werden. Ein bekanntes Muster. Es muss doch etwas geben. Ich muss doch das Gleiche als Mut machend empfinden, wie der Rest der Bevölkerung auch. Nämlich Tiere oder Erinnerungsstücke. Oder Songzeilen. Ich muss funktionieren. Ich muss mich in diesen vorgegebenen Rahmen pressen.

Nein, ich muss nicht. Eines der Dinge, die mir Knötchen beigebracht hat, ist, dass ich nichts muss.

Mein inneres Selbstmanagement funktioniert da mittlerweile gut. Ich identifiziere sofort, wenn ich mich wieder mal selbst sabotieren will. Also änderte ich meine Gedanken darüber: Ich darf sehr viel. Ich darf überlegen, ob mir von den vorgeschlagenen Möglichkeiten etwas gefällt. Ich darf davon eine auswählen und im gewollten Format inszenieren. Und ich darf auch etwas anderes. Ich darf auch das Format brechen. Das waren nur Beispiele. Und ich darf einfach ich sein – und die Geschichte von dem Mut, dem Brustkrebs und meinen schlechten Momenten so erzählen, dass sie mir persönlich entspricht.

Für welche Variante ich mich entschieden habe? Lies selbst.

Was ist überhaupt Mut?

Eine kurze Google-Suche verrät, dass Mut „die Haltung ist, dass man auf Gefahren zugeht und etwas tut, obwohl man Angst hat.“ Mir fallen ein paar Dinge in meinem Leben ein, die man als mutig bezeichnen könnte. Die reine Brustkrebs-Therapie gehört jedoch für mich nicht dazu. Denn hier habe ich ja einfach nur den Plan der Ärzte befolgt und bin brav zu allen Terminen gegangen, die für mich vereinbart wurden. Das habe ich in dem Glauben und in der Hoffnung gemacht, dass mich diese Therapie wieder gesund machen wird.

Es gab jedoch andere Aspekte in dieser Zeit, die meinen Mut erfordert haben.

  • Meinen ganz persönlichen Weg der Heilung zu gehen
  • Mein Entschluss und die Umsetzung, trotz Krebs-Diagnose glücklich zu sein
  • Manche unkonventionelle Entscheidung – auch mal gegen 08/15
  • Meinen eigenen Kopf zu behalten, meine innere Haltung aufzubauen und zu festigen
  • Anderen Krebs-Patienten in ihrer Meinung zu widersprechen
  • Mich nur noch mit Menschen zu umgeben, die mir gut tun
  • Mir das Team an Ärzten und Unterstützern so zusammenzustellen, dass es mir hilft

Ich bin echt die absolut Letzte auf diesem Planeten, die in der Akut-Phase der Behandlung immer wusste, was sie machen sollte. Ganz ehrlich, manchmal wusste ich einen Scheiß! Es gab Momente, in denen ich kleingerollt auf dem Badteppich lag und gedacht habe, dass ich morgen sterbe. Am schlechtesten habe ich mich immer dann gefühlt, wenn meine Intuition mir etwas anderes sagte als der aktuelle Behandlungsweg. Daraus entstand ein Gefühl der inneren Zerrissenheit und Unsicherheit. Ein Gefühl nicht mehr zu wissen, was ich glauben und spüren darf. Ein Gefühl, was meist von einem Berg voller Tränen begleitet wurde. Nur: Ein Talisman hätte mir zu diesem Zeitpunkt auch nicht geholfen.

Ich habe es wirklich versucht: Das Lieblingslied angemacht, meine Stoffratte angeschaut oder meine beste Freundin angerufen. Ja, das hilft mir. Aber eine Sache davon als besonders Mut machend zu kennzeichnen? Was würde meine beste Freundin sagen, wenn ich der Stoffratte den Vorzug gebe? Was meine Mama, wenn es meine beste Freundin wäre?

Am Ende des Tages ist es doch alleine meine Aufgabe, die Diagnose, die Therapie und den Wiederaufbau meines neuen, alten Lebens zu bewältigen. Das Leben hat mir diese Aufgabe gegeben, weil es glaubt, dass ich sie schaffen und daran wachsen werde. Ich darf es sogar ganz alleine schaffen. Denn was ich alleine schaffe, das verschafft mir ein hohes Maß an Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Und gleichzeitig schaffe ich es auch nicht alleine. Alleine in diesem Dschungel von Medizin-Chinesisch, kämpfenden Krebs-Kriegerinnen und Therapievorschlägen von hier bis Meppen. Alleine mit Ängsten, Sorgen, Nöten, Unsicherheiten, und nicht zu vergessen: hormonellen Schwankungen. Ein totaler Gefühlscocktail. Nein, alleine funktioniert das nicht.

Was hat mir also besonders geholfen, wenn die Welt über mir zusammengebrochen ist?

  • Annehmen und alle Emotionen ausleben
  • Spaziergänge in der Natur
  • Laute Musik, Mitsingen und Tanzen
  • Yoga
Yoga

In meinem Yoga-Zimmer

  • Meditation
  • Fahrradfahren
  • Dunkle Schokolade
  • Ausheulen bei Mama und der besten Freundin
  • Das Schreiben
  • Meine Träume
  • Die inneren Bilder von mir – von einer glücklichen, strahlenden, erfolgreichen, positiven, in sich ruhenden Frau, die auch DAS hinkriegen wird
  • ….

    Stoffratte

    Da ist sie <3

  • Und ja, ok, auch meine Stoffratte 😀

Das ist ein Auszug aus meinen persönlichen Unterstützern, die mich in meinem Leben immer wieder in Balance bringen. Und während der Therapie habe ich mir davon besonders viel in meinen Tag geholt. Ich bin sehr bewusst und achtsam mit diesen wunderbaren Ressourcen umgegangen. All diese Dinge stärken mich. Und wenn ich gestärkt bin, dann kann ich auch gut mit den anstehenden Herausforderungen des Lebens umgehen. Auch mit einer Brustkrebs-Diagnose.

Diese Stärkung klappt aber nur, wenn ich selbst auch mitmache

Wenn ich eine Stärkung auch zulassen kann. Dafür braucht es Selbstverantwortung. Das Gegenteil von Selbstmitleid. Bei dem Schock einer Krebs-Diagnose ist es so verdammt einfach, sich im Selbstmitleid zu suhlen. Doch leider bringt einen das keinen Schritt voran. Im Gegenteil, dadurch verharrt man erst recht in den negativen und unglücklichen Gefühlen. Sich dann zu sagen „Arschbacken zusammenkneifen, und los geht’s. Was tut dir jetzt gut?“ ist der erste Schritt. Und es dann auch zu tun.

Wenn ich in der Lage bin, zu erkennen, was mir in welchem Moment gut tut. Denn nicht jede Ressource passt in jede Stimmung. Manchmal braucht es einfach Ruhe, dann ist ein Waldspaziergang das Richtige. Und manchmal müssen die Gefühle verbal raus, dann ist es ein Telefonat mit einer vertrauten Person. Es ist an mir, in mein Inneres hineinzuhorchen, und zu schauen, was es gerade jetzt braucht. Und zwar, was es wirklich, wirklich braucht. Und nicht einfach nur ständig und immer Schokolade essen. (Aber manchmal 😉 )

Wenn ich bereit bin, auch mal auszuprobieren. Neue Dinge. Andere Dinge. Oder die gleichen Dinge wie immer, aber zu einer anderen Zeit. Oder in einer anderen Intensität. Hierzu gehört auch zu experimentieren, auch nach der Therapiephase. Ich habe meine eigenen Ressourcen Stück für Stück erweitert. Manches wollte ich unbedingt machen, das klappte dann nicht. Dann wollte ich es nicht mehr machen, und dann klappte es. Und jetzt gehört es zu mir. So wie die Meditation.

Wenn ich mit mir selbst Geduld habe. Eine Krebsdiagnose ist ein Schlag in die Fresse. Es rüttelt deine komplette Welt durcheinander. Du darfst Stein für Stein, schön brav nacheinander, dir wieder alles neu aufbauen. Und das dauert seine Zeit. Und dazu gehören auch immer Rückschläge. Hier braucht es Ruhe, eine Art inneres Streicheln und sich lieb haben.

Wer macht mir wirklich Mut?

Die einzig wirklich wahre Antwort auf die Frage „Wer oder was hat mir während meiner Brustkrebs-Therapie Mut gemacht, wenn es mir wirklich schlecht ging? ist also: Ich selbst. Immer und immer wieder. Ohne aufzuhören, habe ich mir selbst immer wieder zugehört, meine Ängste angenommen und mir ein Gefühl der Zuversicht gegeben.

Und dafür habe ich mir Unterstützung geholt, wo ich nur konnte: Bei meine Familie, bei meinen Freunden, bei Bekannten. Durch Formen der Bewegung, wie Yoga oder Waldspaziergänge. Durch die Stille und die Besinnung in der Meditation. Durch den therapeutischen Effekt des Schreibens, z. B. hier in diesem Blog. Und noch so vieles mehr. Aber nichts davon, egal, wie wichtig mir der Mensch oder die Sache ist, ist die Haupt-Biene. Ist die Anführerin in Sachen Mut machen. Ist die eine Biene, die das „Mutmach-Siegel“ verdient hätte.

Dafür ist die Zeit zu sehr von einem Gefühl der Achterbahn mit Überlänge geprägt. Es geht hoch und runter, nach rechts und nach links. Es dreht sich um die eigene Achse. Und wieder zurück. Und bei einer Achterbahn weiß ich auch nicht, was hinter der nächsten Kurve liegt, wie ich darauf reagiere und was es braucht, um sich nicht übergeben zu müssen. Ob es hilft, die Augen zuzumachen oder lieber bewusst zu atmen. Ob es besser ist, zu schreien oder nur zu hoffen, dass es schnell rum geht. Deswegen kann ich auch nicht die eine Sache oder den einen Menschen nennen, denn das ändert sich in den einzelnen Situationen. Ich würde der Fragestellung damit für mich nicht gerecht werden.

Denn so oft denken wir sofort an andere. Was die alles für uns tun. Was für eine Last wir für unsere Familien und Freunde sind, weil wir krank geworden sind. Wer uns wie stark unterstützt und eine Wertschätzung verdient hat. Und das möchte ich auch gar nicht klein reden.

Dennoch: Es ist viel einfacher, bei sich selbst nach dem Mut zu suchen.

Denn uns selbst haben wir immer dabei. Uns selbst können wir jederzeit innerlich stärken und in Balance bringen. Für ganz viele Dinge, die uns stärken, braucht es nichts mehr außer uns selbst und etwas Muße. Ziemlich einfach, oder?

Die größte Aufgabe in dieser intensiven Zeit schreibe ich also tatsächlich mir selbst zu. Denn ich lebe mit mir – jeden Tag, jede Stunde, jeden Moment. Ob ich weine oder lache. Ob ich mich zuversichtlich oder sorgenvoll fühle. Mein Job ist es, die Balance zu halten. Dass die schlechten Momente nicht kippen, aber auch nicht verdrängt werden. Dass die guten Momente den Hauptanteil ausmachen, aber nicht erzwungen werden. Das ist meine ureigenste, ganz persönliche Aufgabe. Und dafür sage ich mir selbst heute mal ganz offiziell DANKE. Denn ich habe das toll gemacht. Und ich sage genauso auch DANKE an all die Menschen da draußen, die mich in den letzten Monaten supported haben. Denn auch die haben das toll gemacht. Und ohne euch hätte ich es nicht geschafft. Wirklich nicht. Und jaaaa, ich sage auch DANKE an die Stoffratte 😉 Und ich sage auch DANKE an Amoena Life, ohne die ich mir über dieses Thema schriftlich wohl keine Gedanken gemacht hätte <3

PS: Übrigens habe ich neulich eine Entscheidung getroffen, die wirklich Mut gebraucht hat. Ich habe meinen Teilzeit-Job gekündigt. Mehr als 16 Jahre Bankerin-Leben gehen nun Ende des Jahres 2017 offiziell vorbei. Was ich dann mache? Findest Du dann hier.

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