Es ist Feiertag, draußen ist Bombenwetter, ich dackel hier in der Wohnung rum wie Falschgeld und habe einfach nur Angst. Yoga und Waldspaziergang standen (wie fast täglich) auf dem Programm, dazu wollte ich ganz viel schreiben und bloggen. Heute Abend in Ruhe das Finale von Germany’s next Topmodel schauen. Einfach bei mir sein und mich ausruhen.
Denn die letzten Tage war viel los. Ich hatte mich entschieden, wieder arbeiten zu gehen. Einiges an Organisatorischem war zu tun. Und ich hatte mir mit meiner eigenen Tolpatschigkeit jede Menge außerplanmäßige Aufgaben in die To-Do-Liste geschrieben, die erledigt werden wollten. Ich hatte mich also so richtig auf diesen freien Sandra-Tag gefreut und wollte ihn ganz mit mir selbst verbringen.
Ausschlafen habe ich noch geschafft. Auch Yoga. Dabei hatte ich jedoch anfangs tierische Schmerzen, schlimmer als nach den OP’s. Denn ich bin gestern gestürzt, als ich die U-Bahn in Frankfurt verlassen habe. Ich habe keine Ahnung, wie ich das geschafft habe. Da war nichts und ich trug flache Schuhe. Zwar hatte ich Glück im Unglück – es ist nichts gebrochen, nur blaue Flecken und auch die Kleidung ist noch heile. Aber seitdem schmerzt mein Bluterguss an der Brust wie Hölle. Fast hätte ich meine tägliche Yoga-Praxis deswegen abbrechen müssen. Zudem habe ich mir Dienstag Abend am Einkaufskorb den linken Zeigefinger eingeklemmt. Auch hier habe ich keinen blassen Schimmer, wie das passieren konnte. Es tat nicht mal weh. Aber seitdem ist die Fingerspitze taub und kribbelt. Scheint ein eingeklemmter Nerv oder so zu sein.
Ich fühle mich wie ein Ganzkörper-Wrack.
Ich bin jung und fit – zumindest war das bisher so. Aber wenn ich mir im Moment meinen Körper anschaue, dann sehe ich noch recht frische Operationswunden, Narben, blaue Flecken, leichte Deformationen. Und wenn ich hinein fühle, dann tut es hier und dort weh. Meine zunehmende Muskulatur, gestärkt durch täglichen Sport und Bewegung, kann nicht darüber hinweg täuschen: Es ist nicht mehr wie früher. Und früher ist echt noch nicht so lange her.
Irgendwie konnte ich mich nicht aufraffen, das zu tun, was ich mir für heute gewünscht habe. Anstatt zu schreiben, habe ich sinnlos Zeit im Internet verdaddelt und Geld beim Online-Shoppen ausgegeben. Und die restliche Zeit? Ich weiß es gar nicht so genau. Der Tag ging einfach rum.
Ich war die ganze Zeit stark. Bekomme so viel Zuspruch und Anerkennung für meinen Weg, mit dieser Erkrankung umzugehen. Und es ist ja auch so: Ich fühle mich meist gut. Kann mich an kleinen Dingen erfreuen. Genieße den Moment.
Allein und einsam
Heute jedoch nicht. Und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, gab es auch zuvor schon Tage, an denen das nicht so war. Ich fühle mich allein. Ich fühle mich einsam. Obwohl immer mal wieder jemand bei mir nachfragt, wie es mir geht, bleibe ich doch alleine mit meiner Erkrankung. Ich muss sie alleine stemmen. Und auch die Nachfragen werden weniger, denn ich antworte ja meist, dass es mir gut geht. Versprühe Optimismus und Zuversicht. Denn ich muss ja. Aufgeben ist keine Option. Ich will leben und wieder gesund werden.
Niemand, der nicht betroffen ist, kann mich verstehen. Und obwohl ich die neuen Menschen in meinem Leben, die ebenfalls erkrankt sind, sehr schätze und mag – so sind sie doch noch recht fremd für mich. Ich bin gleichzeitig ein sehr offener wie auch ein sehr verschlossener Mensch. Hinter der Fassade aus Offenheit, Stärke und Optimismus gibt es noch viel mehr. Mir selbst ist das nicht unbekannt. Jedoch lasse ich es nur selten raus. Heute ist jedoch so ein Tag, an dem irgendetwas aus mir raus will.
Vor der Angst
Ich war felsenfest davon überzeugt, dass ich es schaffen werde. Dass ich wieder ganz gesund werde. Dass ich keinen Rückfall bekommen werde. Und zwar nie wieder. Dass es jetzt zwar hart wird, aber dennoch lebenswert bleibt. Nein, ich war nicht bereit, 2017 schon komplett abzuschreiben. Warum denn? Nur wegen Brustkrebs? Dass ich nicht lache!
Und meine Erfahrungen der letzten Wochen bestärken mich auch darin. Ich habe drei OP’s samt Vollnarkose super überstanden. Die Wunden verheilen gut. Knötchen ist komplett draußen. Ich kann wieder arbeiten gehen (zumindest solange die weitere Behandlung mit ihren eventuellen Nebenwirkungen noch nicht begonnen hat). Ich habe neue, wunderbare Menschen in meinem Leben, die mich stützen und mir Kraft geben. Es gab so viele schöne Momente und fantastische Tage. Ohne meine Erkrankung hätte es diese nicht gegeben. Mir sind Dinge bewusst geworden, die ich in meinem Leben danach ändern werde. Die ersten Anpassungen habe ich auch schon vorgenommen. Kein Grund den Kopf hängen zu lassen, oder?
Mit der Angst
Was ist nur heute mit mir los? Ich mag niemanden anrufen, denn ich denke, dass ich störe. Jeder wird seinen freien Tag und das Wetter genießen. Mein Handy steht auch still, was meine Vermutung zu beweisen scheint. Nur in den Brustkrebs-Gruppen bei Facebook ist was los. Hier lese ich in letzter Zeit zunehmend von Rückfällen, Metastasen und Todesfällen. Das alles hat mit mir nichts zu tun. Ich lebe ja noch und stehe ganz am Anfang. Meine Heilungschancen stehen gut, oder? Und gleichzeitig hat das alles auch mit mir zu tun.
So richtig kann ich mich nicht mehr daran erinnern, was die Ärzte über meine Heilung gesagt haben. Ich leide darunter, gerade in letzter Zeit von Assistenzarzt zu Assistenzarzt weitergereicht zu werden. Alle jung – jünger als ich -, unsicher und mit wenig Erfahrung. Fehlender Empathie. Ja, ich kann das verstehen. Ich war auch mal neu im Job. Dennoch: So sehr würde ich mir im Moment einen Arzt wünschen, der mir neben den medizinischen Informationen (die ich mittlerweile fast genauso gut kenne, wie die Ärzte) auch Zuversicht vermittelt. Der mal einen Satz mehr sagt, als er fachlich und inhaltlich sagen müsste.
Wofür kämpfe ich jetzt, wenn ich mir nie sicher sein kann, dass dieser Kampf nicht verloren ist?
Meine ganze Stärke muss aus mir selbst kommen
Wenn ich nicht stark bin, dann gibt es niemanden, der dem Brustkrebs entgegen tritt. Der Knötchen signalisiert, dass er sich verpullern und nie mehr wieder kommen darf. In solchen Momenten wie jetzt will ich mich einfach nur anlehnen. Möchte, dass mir jemand etwas von seiner Kraft gibt. Um mein eigenes, kleines Defizit wieder aufzufüllen.
Heute geht es nicht darum, das Leben zu genießen. Es geht darum, wieder Stabilität aufzubauen. Wieder zu einer inneren Kraft zu kommen. Wieder den friedlichen Kampf gegen Knötchen aufzunehmen. Um gesund zu werden. Um zu leben. Um der Angst entgegen zu treten, die mich zwar nie wieder verlassen wird. Aber definitiv weniger Raum einnehmen darf.
Ich erinnere mich also an das, was ich meine Klienten im Coaching sage: Nutze deine eigenen Ressourcen. Es ist zwar schon früher Abend, aber noch ist es nicht zu spät. Es kann noch ein Tag mit einem guten Ende werden. Auch wenn ich zwischen Yoga und jetzt irgendwie die richtige Abzweigung verpasst habe. Und mich in meiner Angst verbuddelt hatte.
Also, was sind meine Ressourcen?
Ich überlege. Und ziehe meine Sportklamotten an. Frische Luft und Wald. Atmen. Sonne. Vögel. Wenn ich jetzt los gehe, schaffe ich noch meine Runde von 6 – 7 km, bevor das Topmodel-Finale anfängt. Das wird mich hoffentlich erden. Mich wieder näher an mich selbst bringen. Mir wieder Kraft schenken. Kraft, die ich brauche, um Knötchen „Goodbye“ zu sagen.
Was ich dir mit diesem Artikel sagen will
Es ist nicht nur eine tägliche Entscheidung, mit welcher Haltung wir das Leben angehen wollen. Es ist eine Entscheidung, die wir in jedem Moment treffen können. Es wäre gerade so einfach, mich heulend auf das Sofa zu legen. (Aber da lag ich heute schon und geholfen hat es mir nicht.) Stattdessen will ich so gerne, dass meine Beschäftigung mit meiner Angst heute ein gutes Ende erhält. Dass die Zeit, die ich vertrödelt habe, in der ich geweint habe, gut eingesetzt war. Es braucht diese Tiefen, um stark zu sein. Gerade bin ich noch nicht wieder stark. Aber es ist schon wieder mehr Stärke als vor diesem Artikel. Denn auch das Schreiben ist für mich zu einer Ressource geworden. Und der Waldspaziergang könnte den letzten Rest hinbekommen. Ich weiß es nicht, aber ich versuche es. Und das kannst du auch, in jedem einzelnen Moment. Entscheide dich für etwas, was dir gut tut. Und dann tue es. Gerade dann, wenn es dir mies geht. Wenn du Angst hast. Warum auch immer.
Photo by Sandra Lotz.
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