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Weinen darf sein!

Weinen

Ganz früher in meinem Leben als gestresste Bankerin war ich eine echte Heulsuse. Ich habe nicht nur in offensichtlich traurigen Momenten Tränen vergossen, sondern auch leidenschaftlich gerne im Job. Ob aus Wut über die Belastung oder den Chef oder weil alle so fies und gemein zu mir waren – ich habe geheult! Mit der inneren Reife … so ab dem 30. Geburtstag 😉 … kam dann auch zunehmend die Beherrschtheit. Ich lernte, mich durchzusetzen und meine Grenzen ernst- und wahrzunehmen. Tränen brauchte es nicht mehr so viele. Und das fühlte sich auch viel stimmiger für mich an.

Mit dem Moment der Diagnose verwandelte sich dann meine Wohnung innerhalb von Minuten in ein Tränen-Auffanglager. Ich habe geschrien, geweint und getobt. Und zwischendurch meinen Flüssigkeitsbedarf mit Sekt gestillt. Das ging einige Stunden so, dann war es vorbei. Erschreckend schnell eigentlich. Vielleicht der Schock? Das Gefühl, Funktionieren zu müssen? Ich weiß es nicht.

Fest steht – egal, was danach mit mir angestellt wurde, ich blieb trocken. Ob wilde Untersuchungen in engen Röhren. Oder Mitmenschen, denen aufgrund meiner Diagnose die Tränen übers Gesicht liefen. OP-Schmerzen und Nachwehen. Der erste Blick auf eine Brust, die immer noch meine ist, aber der man die drei Operationen ansieht. Die Information, dass ich ein drittes Mal operiert werden muss. Weinen? Fehlanzeige!

Das hatte ich mir nicht vorgenommen. Das war einfach so. Ich habe mich nicht danach gefühlt. Es kam einfach nichts. Und ehrlich gesagt, fand ich das alles – im Vergleich zur Diagnose – auch nicht so wild.

Die Diagnose ist das Schlimmste.

Das sagen alle Brustkrebs-Leidensgefährtinnen, mit denen ich darüber gesprochen habe. Insofern passt es ins Bild, dass ich vor allem zu Zeiten der Diagnose und in einem Moment der Angst zu weinen angefangen habe. Ich blieb also ziemlich lange trocken. Wochenlang.

Und dann kam der heutige Tag

Ich durfte zur Magenspiegelung. Im Rahmen des Stagings wurde ein CT gemacht, welches in der Nähe des Magen-Eingangs einen Schatten gesehen haben wollte. Das hätte alles sein können. Einfach nichts, eine unentdeckte Magenschleimhautentzündung oder auch eine Metastase. Letzteres wäre nach Einschätzung der Oberärztin ein Fall fürs Kuriositätenkabinett gewesen. Aber sicher ist sicher – also wurde mir die Magenspiegelung angeordnet. Richtig so.

Vor einer Magenspiegelung habe ich keine Angst. Ich hatte schon mal eine. An die kann ich mich kaum erinnern. Also kann es nicht so schlimm gewesen sein. Und ganz ehrlich, wer mit Brustkrebs leben kann, der übersteht auch so eine doofe Untersuchung.

Aber ich hatte nicht mit dem Schlimmsten gerechnet: Dem Venenzugang!

Vollkommen unerwartet saß ich also heute Morgen auf dem Stuhl und dachte, mir wird mal wieder Blut abgenommen. Ich schaute gar nicht hin, als mir die Schwester die Nadel in den Arm rammte. Nur wunderte ich mich direkt, dass die Nadel so dick und der Schmerz so stark war. Als ich dann doch hinsah, entdeckte ich den Zugang.

Mit Zugängen kenne ich mich aus. Ich hatte in den letzten Wochen schon zwei. Den ersten wollte ich mir selbst rausziehen, nachdem sich die Nachtschwester geweigert hatte. Nur dem guten Zureden meiner Mama ist es zu verdanken, dass ich ihn drin ließ und irgendwie die Nacht überstand. Beim zweiten war ich schlauer und bezwitscherte bei der Visite den Oberarzt. Der Zugang musste so schnell wie möglich raus. Du merkst also schon, ich hasse die Dinger!

Warum, wirst du dich vielleicht fragen, macht sie wegen der kleinen Nadel so einen Aufstand? Ganz einfach: Ich spüre diese Nadel total! Sie tut mir einfach weh. Ich kann mich kaum auf etwas anderes fokussieren, wenn da so ein Teil in meinem Arm steckt. Du kannst dir also vorstellen, wie begeistert ich heute Morgen war, als ich schon wieder so ein Viech in meiner Armbeuge entdeckte. Mir war natürlich klar, dass ich wenig Verhandlungsspielraum hatte. Ich war in einem Krankenhaus und sollte eine Magenspiegelung bekommen. Mit irgendeiner Art von Betäubung. Maximal konnten ich noch über die Lage des Zugangs diskutieren. Was ich natürlich auch gleich begann. Die Schwester war sehr freundlich und bot an, eine weitere Stelle auszuprobieren. Denn Schmerzen sollte ich nicht haben. Ich beschloss dann aber, lieber auszuhalten. So viele weitere Stellen gibt es nämlich nicht mehr. Der linke Arm ist, da es die operierte Seite ist, für alle Zeiten tabu. Die Vene in der Armbeuge hatte sie schon. Und den Handrücken fand ich bisher noch immer am Allerschlimmsten. Also, Zähne zusammen beißen und durchhalten.

Ich legte mich also auf mein Untersuchungsbettchen und wartete darauf, dass es begann. Es tat weh. Aber ich hielt aus. Der Zugang wurde durchgespült. Und von da an war es die Hölle. Und plötzlich kullerten sie doch wieder – die Tränen. Ich hatte schon so viel durchgemacht, so viel ausgehalten, so oft in letzter Zeit Mut und Humor bewiesen. Aber dieser Zugang brachte mich in diesem Moment um. „Tut das weh?“ fragte mich die nächste Schwester. „Ja“, hauchte ich. „Das dürfte nicht weh tun.“. DOCH, VERDAMMT … GLAUBST DU, ICH WEINE NUR SO AUS SPASS … dachte ich mir, während ich leise „Doch, tut es aber.“ murmelte. Sie ruckelte und zog daran rum. „Besser?“ – „Nicht wirklich.“ Schlussendlich einigten wir uns daraus, dass es besser war, auf diesen Zugang zu setzen, als in meinem Zustand einen neuen Versuch zu wagen. Die Untersuchung sollte ja gleich beginnen. Und das geplante Narkosemittel würde ja auch die Schmerzen in der Vene überdecken.

Dann wurde ich in den Untersuchungsraum geschoben. „Bitte legen Sie sich auf die linke Seite.“ „Äh, die linke Seite?“ „Ja, bitte.“ „Das ist aber die operierte Seite. Ich hatte da drei OP’s, und es ist immer noch geschwollen.“ „Liegen Sie da sonst nicht?“ „Nicht so wirklich.“ (OK, ich gebe zu, da war ich etwas sensibel. Mittlerweile kann ich schon wieder ganz gut auf links liegen. Aber mit dieser fiesen Nadel in meinem Arm setze bei mir einiges aus. Und die Tränen liefen weiter.) „Können wir dann überhaupt die Blutdruckmanschette links angelegt lassen?“ fragte die besorgte Schwester.

SCHEISSE, MANN, WIE WAR DIE DA HIN GEKOMMEN?

Hatte mir wohl die junge Krankenschwester, die während der Diskussion um meinen Zugang um mich herum wuselte, die Manschette da angelegt – ohne dass ich es überhaupt registriert hatte! Du musst wissen, dass mir auf der linken Seite ein Lymphknoten entnommen wurde. Aus diesem Grund muss dieser Arm den Rest meines Lebens geschont werden. Das heißt, kein Blutdruck messen, kein Blut abnehmen. Da muss ich drauf aufpassen. Aber ich freue mich natürlich auch, wenn das Personal mitdenkt. Fürsorglich nahm die erfahrene Schwester also die Manschette ab, hielt sie an meinen rechten Arm über den Zugang und sah mich fragend an. Mir standen immer noch die Tränen in den Augen. „Soll ich?“ fragten ihre Augen. „Ja, bitte bringen wir es schnell hinter uns.“ antwortete ich.

Einige Momente später kam sie wieder zu mir: „Frau Lotz, Sie dürfen Angst haben.“ Ich protestierte sofort. „Ich habe gar keine Angst vor dieser Untersuchung. Das ist nur eine doofe Magenspiegelung. Nichts im Vergleich zu meinem Brustkrebs. Und außerdem ist da nichts im Magen, das müssen wir jetzt nur noch beweisen. Nur dieser Zugang tut halt so weh … .“ „Frau Lotz, es war ja auch alles viel für Sie in letzter Zeit. Die ganzen Untersuchungen und Operationen. Sie dürfen weinen. Es ist alles gut. Aber ich würde Ihnen gerne etwas zur Beruhigung geben. Darf ich?“ sprach sie weiter. Ich willigte ein. Und fühlte mich verstanden. Angenommen. Respektiert. Ich durfte weinen. Sie verstand mich. Das tat einfach gut.

Wenige Minuten später schlief ich schon tief und fest. Und als ich aufwachte, tat der Zugang auch gar nicht mehr so weh. Was mich jedoch nicht daran hinderte, ihn bei erster Gelegenheit wieder loszuwerden. Ich hatte ja einen Ruf zu verlieren 😉

Warum ich dir das so ausführlich schildere?

  1. Ängste und Schmerzen sind subjektiv. Was dem einen Angst und Bange macht, juckt den anderen herzlich wenig. Wo der eine sich vor Schmerz windet, spürt der andere nichts. Ich spüre den Zugang wirklich sehr stark. Er belastet mich. Er tut mir weh. Dafür gehen CT’s, MRT’s und sonstige Untersuchungen, wo man in irgendetwas rein geschoben oder rauf gedrückt wird, ziemlich spurlos an mir vorbei. Wie wollen wir bewerten, welcher Schmerz echter ist? Welche Angst tiefer geht? Was mehr weh tut? Wir können es nicht. Wir können uns nur annehmen, wie wir sind. Und andere in ihrem Schmerz und in ihrer Angst bestmöglich respektieren. Auch wenn es uns vielleicht nicht nachvollziehbar erscheint.
  2. Ängste und Schmerzen sind irrational. Ja, der Zugang tat weh. Aber wahrscheinlich nicht ganz so stark, wie man bei meinen Tränen hätte glauben können. Bestimmt kamen die Umstände dazu. Vielleicht auch die Tatsache, dass ich lange stark gewesen war. Und nicht zu vergessen, ich hatte ja auch kein Frühstück 😉
  3. Weinen darf sein. Im Job. Beim Arzt. Zu Hause. Überall da, wo es dich überkommt. Tränen zeigen deine Emotionen. Und Emotionen sind das, was uns im Kern zusammen hält. „Du bist keine Maschine“, schrieb mir die Tage eine enge Freundin in einem anderen Zusammenhang. Genau das sind wir alle nicht. Es geht hier nicht ums Funktionieren. Wenn dir das Weinen hilft, dann weine. Wenn du spürst, das etwas in dir raus muss, dann schlage auf den Tisch. Zeige das, was dich bewegt. Sei nicht perfekt. Sei authentisch. Auch wenn du als die „Drama-um-den-Zugang-machen-Queen“ abgestempelt wirst. So what? Sei einfach du!

Zwei Stunden nach dem Termin saß ich schon wieder glücklich im Taxi nach Hause. Das Ergebnis der Magenspiegelung? Es ist nichts 😀 Und die Erkenntnis des Tages? Weinen durfte mal wieder sein! Auch (nur) wegen eines Zugangs!

 

Photo by August Finster.

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