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Prognose vs. Heilung fühlen

Prognose

Ehrlich gesagt werde ich nur sehr selten nach meiner Prognose gefragt. Ich habe den Eindruck, die Menschen scheuen sich davor, das Thema anzusprechen. Denn das Gegenteil von gesund werden ist der Tod. Und wer möchte darüber schon freiwillig sprechen?

Aber vielleicht – und diese Erklärung gefällt mir viel besser – liegt es auch an meinem Umgang mit meiner Erkrankung. Rein äußerlich sieht man mir nichts an. Ich sehe gesund und fit aus. Ich gehe offen und ehrlich auf die Menschen zu. Nehme das, was kommt, neugierig und mit Vertrauen an. Wirke stabil und selbstbewusst. Dass ich an meiner Krankheit sterben könnte, liegt nicht im Bereich des Vorstellbaren.

Eine Vorzeige-Kranke also? Nein, nicht immer.

Denn – gerade für die schwachen Momente – wäre es natürlich fein, mal ein offizielles Statement dazu zu hören. Zur Absicherung meiner eigenen Gefühlswelt sozusagen. Von jemandem, der sich auskennt, einem behandelnden Arzt also. Etwas zu hören, was genau auf mich und meinen Fall zugeschnitten ist. Hoffnung zu erhalten, an der ich mich in dunklen Momenten festhalten kann.

Meine Diagnose ist nun 7 Wochen her und natürlich habe ich in diesem ersten Gespräch – irgendwann zwischen dem 7. und dem 48. Schockmoment – gefragt, ob ich wieder gesund werde. Es kam dann eine etwas komplizierte „wenn, dann“-Formulierung, aus der ich nicht recht schlau wurde. Die Ärztin spürte in diesem Moment aber glücklicherweise sehr genau, dass mir das nicht reichte, und schob ein „Gehen Sie mal von einer Heilung aus“ hinterher. Damit rettete ich mich mental über die ersten zwei Wochen.

Im zweiten Gespräch (natürlich mit einer anderen Ärztin) wurden mir meine Staging-Ergebnisse verkündet. Wenn man auf den Kopf gestellt wird, fällt immer was auf, was vielleicht sonst niemals bemerkt werden würde. So auch bei mir. Ich darf noch eine Magenspiegelung machen, um eine kleine Verdickung an der Magenwand zu untersuchen. Aber glücklicherweise sah das die Ärztin so wie ich: Da ist nix! Wir müssen es nur abklären. Nachdem sie mir noch meinen absoluten Lieblingsspruch „Sie sind auf Heilung gestaged“ verkündete, ging ich optimistisch in die anstehende OP-Phase.

Die Fakten

Brustkrebs ist nicht die schlimmste Krebserkrankung. Die Heilungschancen liegen über den Daumen bei 80 % –  je nachdem, welche Studie man bemüht. Bei meinem speziellen Krebs (denn es gibt viele unterschiedliche Brustkrebs-Arten) dürften sie noch höher liegen. Die Chancen für diejenigen mit einer anderen Tumor-Biologie als meiner liegen etwas schlechter. Ich könnte mich also sicher fühlen. Wenn da nicht dieser Test wäre …

Nach der letzten OP wurde ein Genexpressionstest angeordnet, um anhand meiner Gene mein individuelles Risiko von Fernmetastasen zu ermitteln. Davon ausgehend wird abgeschätzt, ob als Behandlungsform eine Chemo-Therapie (die ja auch mit einer Menge Nebenwirkungen einher geht) sinnvoll ist. Dieser Test teilt in zwei Kategorien auf: Low Risk und High Risk. Keine Frage also, in welche Kategorie ich gerne fallen möchte.

Eine Chemo-Therapie tötet sehr viele Zellen in einem Körper ab. Natürlich die bösen. Aber auch die guten. Es gilt also sehr genau abzuwägen, ob sich diese Behandlungsform lohnt oder nicht. Ich persönlich hatte immer das Gefühl, dass eine Chemo nicht das richtige für mich ist. Ausgefallene Haare? Das wäre mein kleinstes Problem. Vielmehr möchte ich mir gar nicht vorstellen, was das Gift in meinem Körper – auf den ich seit einigen Jahren so sorgsam aufpasse – anrichten würde. Wenn ich an Chemo denke, dann sträubt sich alles in mir. Ich denke „Nein, nicht mit mir. Das kann Knötchen nicht gewollt haben. Das passt nicht zu mir und zu meinem ganzheitlichen Verständnis meiner Erkrankung.“ Aber könnte ich diese Einstellung beibehalten, wenn ich tatsächlich High Risk wäre? Ich weiß es nicht.

Der Einbruch

Seit dem Start der OP’s konzentriert man sich in den Terminen im Brustzentrum auf die harten Fakten. Prognose? Fehlanzeige. Stattdessen laufe ich von Termin zu Termin und hoffe einfach. Dazu lerne ich bei jedem Termin einen neuen Assistenzarzt kennen. Nichts gegen junge Ärzte – aber so richtig souverän sind die ohne viel Erfahrung natürlich nicht. Und dann sitzen sie auch noch mir gegenüber, kaum älter als sie … und immer wissbegierig und interessiert an allem, was für meine Erkrankung wichtig sein könnte. Bestimmt nerve ich auch manchmal 😉

Ende April bis jetzt, das ist rund ein Monat. Und der kann in der Welt einer noch recht frischen Brustkrebs-Diagnose doch ziemlich lang werden. Kurz nach der ersten OP war ich noch damit beschäftigt, mich körperlich zu stabilisieren. Zwei Vollnarkosen schlauchen schon ein wenig, dazu natürlich die zwei Wunden an der Brust und unter der Achsel. Dann die Information, dass ich noch einmal operiert werden muss. Damit war ich dann auch wieder beschäftigt. Aber seit rund 2,5 Wochen habe ich „gedanklich“ Zeit. Und in meinen Gedanken kann viel passieren 😉

Ich habe plötzlich nur noch von Metastasen, einem Rezidiv (Rückfall) und vom Tod gelesen. Hatte tierisch Angst, dass ich es nicht schaffen könnte. Hatte Angst, dass ich mir jetzt den Arsch aufreiße, um gesund zu werden – und dass es sich dann gar nicht „lohnt“, weil es mich gleich wieder erwischen könnte.

SO VERDAMMT DOLLE habe ich mir in diesem Moment einen Arzt gewünscht, der mich offen und ehrlich über meine Erkrankung aufklärt. Der mich mit Fakten rund um meine Prognose füttert und mir mit gaaaaanz vielen Sachinformationen das Gefühl gibt, dass mit Klarheit und Verstand alles irgendwie zu wuppen wäre. Leider kam das nicht. Stattdessen konzentrierten sich die Assistenzärzte darauf, mir bloß keine falschen Dinge zu erzählen. Prognose? Empathie? Gab es nicht. Dazu kam die Angst, High Risk zu sein, eine Chemo empfohlen zu bekommen. Eine Entscheidung treffen zu müssen. Sich eventuell gegen die Schulmedizin zu stellen.

Dass Brustkrebs eine Krankheit des Wartens ist, weiß ich schon. (Trifft wahrscheinlich auch auf die meisten anderen schweren Krankheiten zu.) Man hangelt sich von Untersuchung zu Untersuchung, von Termin zu Termin. Dazwischen gibt es immer Wartezeiten und man hofft auf gute Ergebnisse.

Schon sehr früh habe ich erkannt, dass Wartezeiten auch Lebenszeit sind.

Das bedeutet, dass ich auch in diesen Zeiten meine Tage möglichst schön verbringen möchte. Dies ist mir auch eine ganze lange Zeit lang gut gelungen. Doch in den letzten Tagen fiel es mir so verdammt schwer. Um ehrlich zu sein – ich habe es nicht geschafft. Es gab Tränen und viele kleine, miese, fiese Gedanken. Immerhin habe ich es täglich geschafft, etwas für mich zu tun. Mich auf meine eigenen Ressourcen zu besinnen. Dankbarkeit zu empfinden. Dennoch, die doofen Momente voller Angst waren da, und sie fühlten sich nicht schön an.

Ich will so gerne wieder meine Heilung fühlen

Denn natürlich ist das keine Frage.

Ich werde leben.

Denn ich spüre doch ganz tief in meinem Inneren, dass ich wieder gesund werde. Dass ich hier auf dieser Erde noch etwas zu tun habe, noch gebraucht werde. Dass es sich bei Knötchen um eine Art Warnung handelt, besser auf mich achtzugeben. Dass ich aufpassen und achtsam sein darf. Aber dass ich leben werde.

Nur zwischenzeitlich, da war dieses Gespür plötzlich weg. Überschattet von meinen Ängsten. Verdeckt von privaten Sorgen, denn man hat ja auch noch ein Leben neben dem Brustkrebs. Untergegangen durch die vielen Dinge, die erledigt werden wollten, um meine Missgeschicke auszubügeln.

Wie im Inneren, so im Außen.

Denn wenn ich innerlich keine Klarheit habe, mich hin und her gerissen fühle, voller Angst bin … Dann bin ich ein echter Tolpatsch. Und leider beschränkt sich das nicht nur darauf, dass ich in diesen Zeiten auf der Yogamatte keine Balance-Asanas praktizieren kann ohne umzukippen 😉

Ich will wieder zurück zu diesem Gefühl. Will wieder in mir spüren, dass ich gesund werde. Dann versteife ich mich auch nicht so sehr darauf, was mir ein Arzt zu meiner Prognose sagt. Denn eine Prognose ist im Zweifel nur eine Prozentangabe. Selbst wenn es zu 99 % gut gehen wird, kannst du zu dem 1 % gehören, bei dem es nicht so ist. Deswegen ist es für mich so wichtig, meine Heilung zu fühlen. Denn auf welcher Seite der Prozentangabe ich herunter fallen, weiß ich nicht. Das weiß keiner von uns.

Aber mit einem inneren Gefühl der Heilung produziere ich auch wieder positive Gedanken. Diese wirken sich förderlich aus, davon bin ich überzeugt. Und dazu kann ich die Tage auf dieser Welt genießen. Und beschäftige mich nicht mit ungelegten Eiern. Wie zum Beispiel der Frage, ob ich Low oder High Risk bin. Mein Ziel ist also, wieder bei mir anzukommen. Denn wenn ich wieder „ich“ bin, dann spüre ich auch wieder meine Heilung. Dann habe ich wieder verinnerlicht, dass ich leben werde.

Nachtrag wenige Stunden später: Ich bin Low Risk <3 <3 <3

Photo by Sandra Lotz.

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