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When The World Comes Down – Ein Jahr später

Sandra Lotz

Ich habe eigentlich gar keine Zeit. Business. Content. DSGVO. Noch Fragen? Und doch schreit meine Seele danach, heute den Fokus auf etwas anderes zu richten. Knötchen.

Nein, keine Angst. Im Moment sitzt Knötchen auf seiner Wolke. Aber in Gedanken ist er da. Denn heute ist meine Diagnose 1 Jahr her.

Um Mitternacht saß ich da und dachte, dass ich längst im Bett sein müsste. Aber irgendwas hielt mich am Computer fest. Wie ferngesteuert öffnete ich meinen eigenen Blog und fing an zu lesen. Ich war tief ergriffen von meinen eigenen Worten. Tränen kamen. Aber auch die Gewissheit, dass ich noch hier bin, dass es mir gut geht und dass ich es liebe, am Leben zu sein.

In den letzten Monaten lag mein Fokus auf meiner Selbständigkeit. Es gab unendlich viele Tage, an denen ich nicht an meine Erkrankung gedacht habe. Aber Knötchen wird wohl immer ein Teil von mir bleiben. Vielleicht denke ich irgendwann weniger an ihn. Aber vergessen möchte ich auch nicht. Denn er erinnert mich daran, wie wichtig es ist, auf mich, meinen Körper und meine Seele zu hören.

Mein letztes Jahr war sehr tiefgreifend, und es würde Tage dauern, zu beschreiben, was in dieser Zeit alles in mir passiert ist.

Deswegen versuche ich es mal in Stichworten

April 2017

Diagnose. Schock. Trauer. OP I. Unbedingter Lebenswille.

Mai 2017

OP II. Das Tal der Tränen. Todesangst. Rückzug. Neuausrichtung.

Juni 2017

Bestrahlung. Bekenntnis. Annehmen. Loslassen.

Juli 2017

Leben. Erste Business-Aktivitäten. Sortieren.

August 2017

Reha. Tiefer gehen. Verstehen. Fühlen.

September 2017

Selbstliebe. Intuition. Entscheidung. Kündigung.

Oktober 2017

Rückkehr in den Job. Austritt aus der Bank. Normalität.

November 2017

Lebenstraum I. Start neues Business (=Lebenstraum II). Sensibilität.

Dezember 2017

Vollgas neues Business. Fokus. Zielorientierung.

Januar 2018

Angst. Besinnung. Auszeit. Lebenstraum III.

Februar 2018

Suche. Existenzangst. Business as usual.

März 2018

Klarheit. Tiefes Verständnis. Liebe.

Heute bin ich ein anderer Mensch

Ich lebe sehr bewusst und achtsam.

Time is a valuable thing (Linkin Park)

Ich habe ein tiefes Verständnis für die Zusammenhänge im Leben entwickelt.

Ich rede mit meiner Seele und mit meinem Ego. Mit meinem Körper und mit jeder einzelnen Erkrankung oder schmerzhaften Stelle, die ich spüre.

Ich habe eine Verbindung zu meiner Intuition und höre auf sie.

Ich spüre bei anderen Menschen ihr Potenzial genauso wie ihre Ängste.

Ich genieße mein Leben und fühle mich lebendig.

Ich mache, was ich für richtig halte. Auch wenn es unkonventionell erscheint.

Ich liebe mich selbst auf eine ganz neue Art und Weise.

Und ich weiß, dass ich jeden Tag ein Stückchen mehr in die Liebe hineinwachse, die uns alle hier auf dieser Erde umgibt.

Alles in allem finden mich manche vielleicht neuerdings ein wenig wunderlich. Aber das macht nichts. Ich selbst bin dankbar dafür, dass das Leben mir ermöglicht hat, diesen riesen Sprung nach vorne zu machen und zu erkennen, zu begreifen und zu lieben.

Manche Dinge haben sich aber auch null verändert

Ich liebe immer noch laute Musik und singe liebend gerne (falsch) mit.

Manchmal sabbel ich zu viel. Manche würden auch sagen meistens.

Ich bin immer noch durch und durch Projektmanagerin. Gib mir was zu managen, und ich ziehe es durch.

Ich bin oft busy und schwanke zwischen tiefgreifender Verehrung meines Lebensstils und dem festen Vorsatz, weniger Dinge so dolle zu lieben, dass ich sie unbedingt machen will.

Meine Tolpatschigkeit habe ich genauso wenig abgelegt wie meine Abneigung gegenüber dem Putzen.

Was hat sich nun 1 Jahr später getan?

Auf meinen Körper hören

Der größte Unterschied zwischen Sandra 2.0 und der alten Sandra ist wohl, dass ich ständig in mich hineinspüre, ob es mir mit dem, was ich tue, gut geht. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich immer darauf höre. Aber ich bin wesentlich besser darin, meinem Körper die Führung anzuvertrauen. So viele Blogartikel wurden in den letzten Monaten nicht geschrieben, weil ich lieber auf dem Sofa entspannt habe. Diverse Whats App-Nachrichten wurden erst Tage später beantwortet, weil ich nicht mehr aufs Handy schauen mochte.

Mein neues Leben ermöglicht es mir, achtsam in den Tag zu starten. Mehr Pausen dann zu machen, wann ich sie brauche. Und nicht dann, wenn offiziell Mittagspausenzeit ist. 3 Tage lang durchzuarbeiten, genauso wie unter der Woche frei zu nehmen. Einfach so.

Wobei: Die Formulierung ist nicht ganz richtig. Nicht das Leben ermöglicht es mir. Ich mache das selbst. Denn ich habe entschieden, dass ich es mir selbst wert bin. Ich selbst bin so wichtig, dass ich alles (oder zumindest möglichst viel) meinem eigenen Wohlergehen unterordne. Das hätte ich übrigens schon deutlich früher tun sollen. Aber das wusste ich als verkopfte, gestresste Bankerin in meinen Zwanzigern noch nicht.

Meine innere Stimme wahrnehmen

Nicht dass ich nicht schon immer ein intuitiver, empfindsamer Mensch gewesen bin. Aber was seit der Diagnose mit meinem Inneren passiert ist, ist der Wahnsinn. Meine eigene Gefühlswert erscheint mir so reichhaltig und wertvoll. So oft spüre ich Dinge, lange bevor ich sie rational weiß. Manchmal erzählen mir Menschen etwas, und ich „wusste“ es schon. Im Kontakt mit meinen Kunden sehe ich Dinge, die diese Menschen tun könnten – weil es in ihnen angelegt ist.

Noch fehlen mir die richtigen Worte dafür, weil ich mein Gespür noch nicht treffsicher einordnen kann. Soviel ist aber klar: Es ist eine mega Gabe, die ich da geschenkt bekommen habe. Und ich lerne immer mehr, sie zu hegen und zu pflegen und gut auf sie aufzupassen.

Das viele Fühlen führt aber auch dazu, dass ich entsprechend meine Ruhezeiten brauche. Erdung. Fokus. Alleinsein. Auszeiten. Das hat mittlerweile eine ganz andere Bedeutung für mich.

Mehr Lebendigkeit

Sich lebendig fühlen ist ein hammergeiles Gefühl, und wenn ich ehrlich bin, habe ich das im Angestelltenjob nicht gefühlt. Aber seit Knötchen schon ganz schön oft: Wenn ich mit einer Elefantendame im Wasser plantsche – so wie vergangenen Winter in Thailand. Bei meinem ersten Tattoo, auf das ich immerhin dezente 15 Jahre gewartet habe. Oder wenn ich mit meiner Mama Karussell fahre. Und dann gibt es noch ein paar andere Kleinigkeiten 😉

Egal, wie – ich achte viel mehr als früher darauf, mir regelmäßig dieses Gefühl in mein Leben zu ziehen. Und es fühlt sich geil an!

Die langersehnte Selbständigkeit

Ich fühle mich aber auch lebendig, wenn ich das auslebe, was in mir angelegt ist. Und das tue ich im Moment vor allem, wenn ich andere Menschen dabei unterstütze, eine gute Balance zwischen Job und Wohlergehen herzustellen und wirklich in ihrer Arbeit das zu tun, was sie lieben.

Schon mit Mitte 20 kamen die ersten Gedanken an eine Selbständigkeit auf. Jahrelang hatte ich keinen blassen Schimmer, WAS ich tun könnte. Ich ahnte nur, DASS es das Richtige für mich sein würde. Bis ich 2014 meine Coaching-Ausbildung begann und plötzlich merkte: DAS ist es.

Wenn ich mir heute meinen eigenen beruflichen Lebensweg anschaue, dann ergibt alles Sinn. Der rote Faden ist klar erkennbar: Die viele Arbeit mit Menschen. Die Übernahme von Führungsaufgaben. Das Interesse am Zusammenspiel in Organisationen und den beteiligten Mitarbeitern. Das Hüpfen in verschiedene Funktionen der BWL. Die innere Rebellion gegen veraltete Strukturen und Hierarchien, die dem Menschen nicht dienlich sind (obwohl von Menschen geschaffen). Es war sonnenklar, dass ich eines Tages selbständig sein und mit Menschen arbeiten würde. Aber hinterher ist man ja immer schlauer 🙂

Bewusste, klare Haltungen und Entscheidungen

Innere Klarheit ist total wichtig für mich. Ich lebe bewusst nach meinen Werten und im Rahmen meiner Persönlichkeit. Wenn etwas Doofes passiert, dann löse ich es innerlich auf. Manchmal dauert es ein paar Tage. Aber wenn es dann soweit ist, dann löst sich der Knoten. Ich bin viel schneller als früher darin zu reflektieren und zu den Dingen eine bewusste Haltung einzunehmen.

Und das Schöne ist: Wenn ich klar bin, so ist es auch mein Umfeld. Ich bekomme viel weniger Kritik als früher. Und ich traue mich viel eher, meine Haltung klarzumachen. Und je selbstbewusster ich damit bin, desto mehr Zuspruch bekomme ich.

Mit dem Leben leben und nicht dagegen

Wenn es regnet, obwohl ich Spazierengehen wollte, dann hat das Leben entweder mehr Erdung durch Wasser für mich vorgesehen. Oder ich soll vielleicht auch einfach zu Hause bleiben. Wenn ich es nicht schaffe, diese Woche einen Blogartikel zu schreiben, sondern erst nächste Woche, dann fällt mir garantiert nächste Woche eine Knaller-Wendung dazu ein. Wenn heute nun mal Knötchens Tag ist, dann wird die DSGVO warten. Und das wird gut für mich sein, weil dann vielleicht schon mehr Informationen vorliegen, wenn ich dann auch soweit bin, mich damit zu beschäftigen.

Was ich damit sagen will: Ich kämpfe nicht mehr ständig gegen Dinge an, die ich nicht ändern kann. Ich lebe im Moment. Ich mache mir nicht so viele Sorgen um morgen. Ich bin offen mit meinen Mitmenschen. Wenn ich etwas nicht schaffe, weil ich mir zu viel vorgenommen habe, dann sage ich das. Und bekomme Verständnis und Mitgefühl. Ich nehme den ständigen Wandel an und akzeptiere, dass Leben Veränderung und Wachstum bedeutet. Und wenn jemand mal nicht so will, wie ich? Dann soll es auch so sein. Es wird seine Gründe haben und gut für mich sein.

Für mich heißt genau das Leben.

Fazit

Ein Jahr nach Knötchen lebe ich ein bewusstes Leben, in dem ich selbst an erster Stelle stehe. Das hat für mich nichts mit Egoismus zu tun, sondern ist für mich Ausdruck einer tiefen Wertschätzung mir selbst gegenüber.

Manchmal rutsche ich noch in alte Muster. Klar, ich hatte sie ja über Jahrzehnte perfektioniert. Aber ganz häufig erlebe ich mich selbst in absolute Kleinigkeiten als „neue“ Sandra. Und wenn ich mich selbst dabei beobachte, dann freue ich mich.

Und ich bin dankbar dafür, dass es mir gelungen ist, nach diesem schlimmen Moment vor 12 Monaten meine persönliche Erfolgsstory zu schreiben. Egal, was das Leben noch für mich vorgesehen hat – das kann mir keiner mehr nehmen. Daraus erwächst Selbstbewusstsein und Mut. Und das ist die Stelle, an der ich tatsächlich DANKE sage. DANKE KNÖTCHEN für diesen hammerkrassen Arschtritt. Und DANKE an mich selbst, dass ich verstanden habe und einige Weichen neu gestellt habe.

Photo by Timo Raab.

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